Die Tore der Welt
sagte Roland. »Dankt
lieber ihm.«
Weil der Graf auf
dem Rücken lag und zur Decke hinaufschaute, konnte Godwyn sein Gesicht nicht
allzu gut sehen; aber er hatte den Eindruck, dass der Graf eine seltsam
ausdruckslose Miene zeigte, und er fragte sich, ob die Schädelfraktur wohl
einen bleibenden Schaden verursacht hatte. Er fragte: »Habt Ihr alles, was Ihr
braucht, Mylord?«
»Wenn nicht, werdet
Ihr es bald wissen. Und jetzt hört mir zu. Meine Nichte Margery wird Monmouth´
jüngeren Sohn heiraten, Roger. Ich nehme an, das wisst Ihr.«
»Ja.« Godwyn sah
das Bild wieder vor sich: Margery auf dem Rücken liegend in eben diesem Raum,
die weißen Beine in die Luft gereckt beim Koitus mit ihrem Vetter Richard, dem
Bischof von Kingsbridge.
»Die Hochzeit ist
durch meine Verletzungen übermäßig verzögert worden.« Das kann nicht ganz die
Wahrheit sein, dachte Godwyn. Die Brücke war erst vor einem Monat eingestürzt.
Vermutlich wollte der Graf lediglich beweisen, dass die Verletzung ihn nicht
nachhaltig beeinträchtigte und dass er noch immer ein wertvoller Bündnispartner
für den Grafen von Monmouth war.
Roland fuhr fort:
»Die Hochzeit wird in drei Wochen von heute an gerechnet in der Kathedrale von
Kingsbridge stattfinden.«
Streng genommen
hätte der Graf eine Anfrage stellen müssen, statt einen Befehl zu erteilen, und
ein gewählter Prior wäre angesichts dieses Hochmuts wohl zusammen gezuckt; aber
es gab ja keinen Prior. Außerdem fiel Godwyn kein Grund ein, warum man Roland
seinen Wunsch nicht erfüllen sollte. »Selbstverständlich, Mylord«, sagte er.
»Ich werde die entsprechenden Vorbereitungen treffen.«
»Ich will, dass bis
zu dem Gottesdienst ein neuer Prior eingesetzt ist«, fuhr Roland fort.
Simeon schnappte
überrascht nach Luft.
Godwyn rechnete
sich rasch aus, dass die Eile seinem Plan sehr zugute kommen würde. »Wie Ihr
wünscht«, erwiderte er. »Es gab zwei Kandidaten, doch gerade erst hat Subprior
Carlus seinen Namen zurückgezogen, sodass nur noch Bruder Thomas übrig ist, der
Matricularius. Wir können zur Wahl schreiten, wann immer Ihr wollt.« Er konnte
sein Glück kaum fassen.
Simeon wusste, dass
er der Niederlage ins Gesicht schaute. »Wartet mal«, sagte er. »Ich … «
Doch Roland hörte
ihm gar nicht zu. »Ich will Thomas nicht«, sagte er.
Damit hatte Godwyn
nicht gerechnet.
Simeon grinste
zufrieden.
Entsetzt sagte
Godwyn: »Aber Mylord … « Roland ließ sich nicht unterbrechen. »Ruft meinen
Neffen Saul Whitehead aus St.-John-in-the-Forest«, sagte er.
Godwyn überkam eine
düstere Vorahnung. Saul war sein Altersgenosse. Als Novizen waren sie
befreundet gewesen. Sie waren gemeinsam nach Oxford gegangen — Saul unterstützt
von Mutter Cecilia, Godwyn mit dem Geld seiner Tante Petronilla —, doch seitdem
hatten sich ihre Wege getrennt. Saul war immer frommer geworden, Godwyn immer
weltlicher. Saul war zum Prior der abgelegenen Zelle von St. John aufgestiegen.
Er nahm die klösterliche Tugend der Demut ausgesprochen ernst und würde seinen
eigenen Namen nie selbst ins Spiel bringen. Aber er war klug und fromm und
wurde von allen geschätzt.
»Bringt ihn so
schnell wie möglich her«, befahl Roland. »Ich werde ihn als nächsten Prior von
Kingsbridge nominieren.«
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KAPITEL 21
Merthin saß auf dem
Dach der Kirche St. Mark am Nordende von Kingsbridge. Von hier aus konnte er
die ganze Stadt überblicken. Im Südosten wand der Fluss sich um die Priorei
herum, als wolle er sie in den Arm nehmen. Die Klostergebäude und die
umliegenden Anlagen — Friedhof, Marktplatz, Obsthain und Gemüsegarten — nahmen
ein Viertel der Stadt ein; die Kathedrale erhob sich aus ihrer Mitte wie eine
Eiche aus einem Feld von Nesseln. Merthin sah, wie die Klosterbediensteten
Gemüse ernteten, den Stall ausmisteten und Fässer von einem Karren luden.
Im Stadtzentrum
lebten die Wohlhabenden, vor allem an der Main Street, der Hauptstraße, die vom
Fluss den Hang hinaufführte, den vor Hunderten von Jahren die ersten Mönche
emporgestiegen waren. Mehrere reiche Kaufherren, die man an den leuchtenden
Farben ihrer Kleidung leicht erkennen konnte, gingen zielstrebig die Straße
entlang: Kaufleute hatten immer viel zu tun. Eine weitere breite
Durchgangsstraße, die High Street, führte von West nach Ost mitten durch die
Stadt und kreuzte die Hauptstraße im rechten gleichen Kreuzung, konnte Merthin
das breite Dach der Ratshalle
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