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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erkennen, des größten Gebäudes der Stadt
außerhalb der Priorei.
    Auf der Hauptstraße
neben Bells Gasthaus befand sich das Klostertor; gegenüber stand Caris‘ Haus,
das größer war als die meisten anderen Gebäude. Vor dem Bell sah Merthin eine
Menschenmenge, die sich um Friar Murdo geschart hatte. Der Bettelmönch war nach
dem Brückeneinsturz in Kingsbridge geblieben. Entsetzte und trauernde Menschen
waren besonders empfänglich für die Predigten, die Murdo am Straßenrand hielt,
und er strich eine Menge Halfpennys und Farthings ein. Merthin hielt ihn für
einen Scharlatan. Er glaubte, dass Murdos heiliger Zorn nur gespielt war und
dass sich hinter seinen Tränen nur Zynismus und Gier verbargen. Doch Merthin
zählte mit dieser Meinung zur Minderheit.
    Am Ende der
Hauptstraße ragten noch immer die Stümpfe der Brückenpfeiler aus dem Wasser;
daneben setzte Merthins Fähre gerade einen Karren mit drei Truhen auf der
Ladefläche über. Im Südwesten lagen die Handwerksbetriebe, große Häuser mit
großen Höfen: Schlachthäuser, Gerbereien, Brauereien, Bäckereien und anderes
mehr. In dieser Gegend stank es, und den führenden Bürgern der Stadt war es
dort zu schmutzig; trotzdem wurde in diesem Viertel viel Geld verdient. Der
Fluss wurde dort ein wenig breiter und teilte sich in zwei Arme, die um Leper
Island, die Insel der Aussätzigen, herumführten. Merthin sah, wie lan Boatman
mit seinem kleinen Boot zur Insel ruderte. Sein Passagier war ein Mönch; vermutlich
brachte er dem letzten übrig gebliebenen Aussätzigen etwas zu essen. Am Südufer
des Flusses reihten sich Lagerhäuser und Anlegestellen, an denen Flöße und
Barken be- und entladen wurden. Dahinter befand sich die Vorstadt, Newtown, wo
ärmliche Häuser sich in langen Reihen zwischen Obstgärten, Weiden und Gärten
hinzogen, in denen die Bediensteten der Priorei Obst und Gemüse für die Mönche
und Nonnen zogen.
    Das Nordende der
Stadt, wo auch die Kirche St. Mark stand, war das Armenviertel; um das
Gotteshaus herum drängten sich die Häuser der Arbeiter, der Witwen, der
Erfolglosen und der Alten. Es war eine arme Kirchengemeinde — zum Glück für
Merthin.
     
    Vor vier Wochen
hatte ein verzweifelter Vater Joffroi Merthin in Dienst genommen mit dem Auftrag,
einen Hebekran zu bauen, um das Dach von St. Mark zu reparieren. Caris hatte
Edmund überredet, Merthin Geld für Werkzeuge zu leihen. Merthin hatte einen vierzehnjährigen
Jungen angeheuert, Jimmie, der für einen Halfpenny pro Tag für ihn arbeitete.
Und heute war der Hebekran fertig geworden.
    Irgendwie hatte es
sich herumgesprochen, dass Merthin eine neue Maschine ausprobieren würde. Schon
von seiner Fähre waren alle sehr beeindruckt gewesen, und nun schauten die
Leute sich fasziniert an, was ihm jetzt wieder eingefallen war. Unten auf dem
Friedhof hatte sich eine kleine Menge versammelt, die meisten davon
Müßiggänger; aber auch Vater Joffroi, Edmund und Caris sowie ein paar
Baumeister der Stadt — unter anderem Elfric — waren zugegen. Wenn Merthin heute
versagte, würde er vor den Augen seiner Freunde wie auch seiner Feinde
scheitern.
    Aber das war nicht
das Schlimmste. Die Anstellung bei Vater Joffroi hatte Merthin davor bewahrt,
auf der Suche nach Arbeit die Stadt verlassen zu müssen; dennoch drohte dieses
Schicksal ihm nach wie vor. Wenn seine Konstruktion versagte, würden die Leute
zu dem Schluss kommen, dass es Unglück bedeutete, Merthin einzustellen, und
wenn ihm erst der Ruf anhaftete, vom Unglück verfolgt zu sein, würde dies den
Druck auf ihn erhöhen, die Stadt zu verlassen. Er würde Kingsbridge Lebewohl
sagen müssen — und Caris.
    Im Laufe der
letzten vier Wochen, während er die Teile des Hebekrans zurechtgeschnitten und
zusammengefügt hatte, hatte Merthin zum ersten Mal ernsthaft darüber nachgedacht,
was es für ihn bedeuten würde, Caris zu verlieren. Allein der Gedanke hatte ihn
schier zur Verzweiflung getrieben. Er hatte erkannt, dass Caris seine einzige
Freude im Leben war. War das Wetter schön, wollte er im Sonnenschein mit ihr
spazieren gehen; sah er etwas Schönes, wollte er es ihr zeigen; hörte er etwas
Lustiges, wollte er es ihr erzählen, um ihr Lächeln zu sehen. Seine Arbeit
machte ihm Freude, besonders wenn ihm eine kluge Lösung für ein scheinbar
unlösbares Problem einfiel; aber es war eine kühle Freude ohne viel Herz, und
Merthin wusste, dass ein Leben ohne Caris ein einziger

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