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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Studenten zu
diskutieren. Im letzten Jahrhundert hatte man die Magister zu einer Gemeinschaft
zusammengefasst, einer Universität, welche die königliche Erlaubnis hatte,
Studenten zu examinieren und Titel zu verleihen. Die Priorei von Kingsbridge
unterhielt eine Zelle in Oxford, bekannt als Kingsbridge College, wo acht Mönche
ihr Leben in Gebet und Askese weiterführen, gleichzeitig aber auch studieren
konnten.
    »Oxford!«, rief
Anthony aus, und ein Ausdruck der Sorge und der Verachtung schlich sich auf
sein Gesicht. »Warum?«
    »Um zu studieren,
wie es von Mönchen erwartet wird.« »Ich bin nie nach Oxford gegangen — und ich
bin Prior.« Das stimmte, doch Anthony war dadurch anderen Klosteroberen
gegenüber stets im Nachteil. Der Mesner, der Schatzmeister des Klosters, und
mehrere andere Amtsinhaber des Konvents hatten an der Universität graduiert;
Gleiches galt für alle Ärzte. Sie waren von rascher Auffassungsgabe und
verstanden es, geschickt zu argumentieren. Anthony wirkte bisweilen sogar
stümperhaft im Vergleich zu ihnen, besonders im Kapitel, der täglichen
Zusammenkunft der Mönche. Godwyn sehnte sich danach, die gleiche scharfsinnige
Logik und selbstbewusste Überlegenheit wie die Männer aus Oxford zu erlangen.
Er wollte nicht wie sein Onkel werden.
    Doch das durfte er
nicht sagen. »Ich will lernen«, erklärte er stattdessen schlicht.
    »Warum willst du
Ketzerei lernen?«, fragte Anthony verächtlich.
    »Die Studenten von
Oxford stellen die Lehren der heiligen Mutter Kirche infrage!«
    »Um sie besser zu
verstehen.«
    »Das ist sinnlos
und gefährlich.«
    Godwyn fragte sich,
warum Anthony sich so sperrte. In der Vergangenheit war der Prior nie so
besorgt gewesen, was die Reinheit der Lehre betraf, und Godwyn hatte nicht das
geringste Interesse daran, allgemein anerkannte Prinzipien zu hinterfragen. Er
runzelte die Stirn. »Ich dachte, Ihr und meine Mutter hättet Pläne mit mir«,
sagte er. »Wollt Ihr denn nicht, dass ich aufsteige, ein Amt übernehme und
eines Tages vielleicht sogar Prior werde?«
    »Irgendwann einmal,
ja. Aber um das zu erreichen, brauchst du Kingsbridge nicht zu verlassen.«
    Du willst nur
nicht, dass ich zu rasch vorwärts komme, damit ich dich nicht überhole; und du
willst nicht, dass ich die Stadt verlasse, weil du dann keine Kontrolle mehr
über mich hast, dachte Godwyn mit plötzlicher Einsicht. Er wünschte, er hätte
schon früher daran gedacht, dass man seinen Plänen Widerstand entgegenbringen
könnte. »Ich möchte nicht Theologie studieren«, sagte er.
    »Was dann?«
    »Medizin. Sie ist solch ein wichtiger Teil
unserer Arbeit hier.«
    Anthony schürzte
die Lippen. Godwyn hatte den gleichen missbilligenden Ausdruck schon auf dem
Gesicht seiner Mutter gesehen.
    »Das Kloster kann
sich das nicht leisten«, sagte Anthony. »Ist dir eigentlich klar, dass ein Buch
schon vierzehn Shilling kostet?«
    Das überraschte
Godwyn. Er wusste, dass Studenten Bücher auch leihen konnten, doch das war
nicht der Punkt. »Was ist mit den Studenten, die bereits dort sind?«, fragte
er. »Wer bezahlt für die?«
    »Zwei werden von
ihren Familien unterstützt und einer von den Nonnen. Die Priorei zahlt für die
restlichen drei; mehr können wir uns aber nicht leisten. Tatsächlich sind
mangels Geld sogar zwei Plätze im College frei.«
    Godwyn wusste, dass
die Priorei Geldprobleme hatte. Andererseits konnte sie aber auch auf große
Einkommensquellen zurückgreifen: Tausende Morgen Land, Mühlen, Fischteiche und
Wälder sowie die riesigen Abgaben des Marktes. Godwyn konnte einfach nicht
fassen, dass sein Onkel ihm das Geld verweigerte, um nach Oxford zu gehen.
Anthony war nicht nur sein Verwandter, sondern auch sein Mentor. Er hatte
Godwyn stets den anderen jungen Mönchen vorgezogen. Doch nun versuchte er,
Godwyn vom Weiterkommen abzuhalten.
    »Ärzte bringen Geld
in die Priorei«, argumentierte er. »Wenn wir keine jungen Männer ausbilden,
werden die alten irgendwann sterben, und die Priorei verarmt.«
    »Gott wird für uns
sorgen.«
    Dieser
Allgemeinplatz, der einen immer wieder in den Wahnsinn trieb, war Anthonys
Antwort auf alles. Seit einigen Jahren schon ging das Einkommen der Priorei vom
jährlichen Wollmarkt stetig zurück. Das Stadtvolk hatte Anthony gedrängt, in
bessere Einrichtungen für die Wollhändler zu investieren — Zelte, Stände,
Latrinen, ja sogar in ein Gebäude für die Wollbörse —, doch er hatte

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