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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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befahl Tutty, den Tisch abzuräumen. Gwenda beobachtete alles
mit großen Augen. Schweigend saßen sie am Tisch und warteten.
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KAPITEL 4
    Bruder Godwyn hatte
Hunger. Er hatte seine Hauptmahlzeit bereits verzehrt, einen Eintopf aus Rüben
und Pökelfisch, aber das hatte ihm nicht gereicht. Die Mönche bekamen fast
immer Fisch und Dünnbier zum Essen, selbst wenn kein Fastentag war.
    Aber natürlich
nicht alle Mönche: Prior Anthony speiste besser als die anderen. Heute
erwartete ihn ein besonders gutes Essen, denn die Priorin, Mutter Cecilia, war
bei ihm zu Gast. Sie war reiche Speisen gewöhnt. Die Nonnen, die stets mehr
Geld zu haben schienen als die Mönche, schlachteten alle paar Tage ein Schwein
oder ein Schaf und spülten es mit Wein aus der Gascogne runter.
    Es war Godwyns
Aufgabe, das Essen zu beaufsichtigen; eine schwere Aufgabe, wenn einem selbst
der Magen knurrte. Godwyn sprach mit dem Klosterkoch und sah nach der fetten
Gans im Ofen und dem Kessel mit Apfelsoße, die auf dem Feuer köchelte. Er orderte
beim Cellerar einen Krug Apfelmost vom Fass und holte einen Laib Roggenbrot aus
der Bäckerei — altes Brot, denn sonntags wurde nicht gebacken. Schließlich
holte er silberne Teller und Kelche aus einer verschlossenen Truhe und deckte
damit im Haus des Priors den Tisch.
    Der Prior und die
Priorin speisten einmal im Monat miteinander.
    Mönchs- und
Nonnenkloster waren getrennt; beide besaßen sie eigenen Grund und Boden und
unterschiedliche Einkommensquellen. Prior und Priorin mussten sich unabhängig
voneinander dem Bischof von Kingsbridge gegenüber verantworten.
Nichtsdestotrotz teilten sie sich die große Kathedrale und mehrere andere
Gebäude einschließlich des Hospitals, wo Mönche als Ärzte arbeiteten und Nonnen
als Krankenschwestern. Somit gab es stets Einzelheiten zu diskutieren:
Gottesdienste in der Kathedrale, Hospitalgäste und Kranke, Stadtpolitik.
Überdies versuchte Anthony oft, Cecilia dazu zu überreden, Kosten zu
übernehmen, die eigentlich hätten geteilt werden sollen — Glasfenster für das
Kapitelhaus, Strohsäcke für das Hospital, Malerarbeiten in der Kathedrale —, und sie ließ sich für gewöhnlich darauf ein.
    Heute jedoch würde
sich das Gespräch aller Wahrscheinlichkeit nach vornehmlich um Politik drehen.
Anthony war gestern von einem zweiwöchigen Aufenthalt in Gloucester
zurückgekehrt, wo er an der Beisetzung von König Edward II. Mitgewirkt hatte,
der im Januar seinen Thron und im September sein Leben verloren hatte.
    Mutter Cecilia
wollte sicherlich die neuesten Gerüchte hören, während sie gleichzeitig so tat,
als stünde sie über den Dingen.
    Godwyn hatte jedoch
noch etwas anderes im Kopf. Er wollte mit Anthony über seine Zukunft sprechen.
Seit der Rückkehr des Priors hatte er auf den passenden Augenblick gewartet.
Immer wieder war er seine Rede durchgegangen, hatte aber bis jetzt noch keine
Gelegenheit gefunden, sie vorzutragen. Er hoffte, heute wäre es so weit.
    Anthony betrat die
Halle, als Godwyn gerade Käse und eine Schüssel mit Birnen auf die Anrichte
stellte. Der Prior sah wie ein älterer Godwyn aus. Beide waren sie groß, hatten
regelmäßige Gesichtszüge und hellbraunes Haar, und wie beim Rest der Familie
waren ihre Augen grün mit goldenen Flecken. Anthony trat ans Feuer — der Raum
war kalt, und ein eisiger Wind pfiff durch das alte Gemäuer. Godwyn schenkte
ihm einen Kelch Apfelmost ein. »Vater Prior, heute ist mein Geburtstag«, sagte
er, während Anthony trank.
    »Ich bin
einundzwanzig.«
    »In der Tat«, sagte
Anthony. »Ich erinnere mich noch sehr gut an deine Geburt. Ich war damals
vierzehn. Während sie dich auf die Welt brachte, hat meine Schwester Petronilla
geschrien wie ein Eber mit einem Pfeil in den Eingeweiden.« Er hob den Kelch
zum Tost und schaute Godwyn liebevoll an. »Und jetzt bist du ein Mann.«
    Godwyn entschied,
dass der Moment gekommen war. »Ich bin nun zehn Jahre in der Priorei …«,
begann er. »So lange schon?«
    »Ja — als
Schuljunge, als Novize und als Mönch.« »Meine Güte.«
    »Ich hoffe, ich
habe meiner Mutter und Euch Ehre gemacht.«
    »Wir sind beide
sehr stolz auf dich.« »Danke.« Godwyn schluckte.
    »Und jetzt möchte
ich nach Oxford gehen.« Die Stadt Oxford war schon lange ein Zentrum für
Magister der Theologie, der Medizin und der Juristerei. Priester und Mönche
gingen zum Studium dorthin und um dort mit den Lehrern und anderen

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