Die Tore der Welt
besiegt war. Ein Ausdruck ungezügelter Wut erschien auf seinem Gesicht. »Unter
solchen Umständen kann ich keine Kranken behandeln!«, stieß er hervor und
stapfte zornig davon.
Caris blickte ihm
verwundert nach. Sie hatte versucht, ihm mit ihrem Kompromissvorschlag den
Stolz zu retten; nie hätte sie damit gerechnet, dass er in einem Anfall von
Bockigkeit verletzten Menschen den Rücken kehren würde.
Kaum hatte sie sich
wieder den Verwundeten zugewandt, dachte sie nicht mehr an ihn.
Die nächsten zwei
Stunden wusch sie geschäftig Wunden aus, nähte Schnitte, trug lindernde Kräuter
auf und verabreichte beruhigende Tränke. Matthew Barber arbeitete an ihrer
Seite, richtete Knochenbrüche und renkte Glieder ein. Matthew war nun Mitte
fünfzig, doch sein Sohn Luke stand ihm mit gleicher Fertigkeit bei.
Als sie fertig
waren, kühlte der Nachmittag bereits zum Abend hin ab. Sie setzten sich an die
Mauer des Kreuzgangs und ruhten aus. Schwester Joan brachte ihnen Krüge mit
kaltem Apfelmost.
Caris litt noch
immer unter Kopfschmerzen. Solange sie beschäftigt gewesen war, hatte sie den
Schmerz ignorieren können, doch nun machte er ihr zu schaffen. Sie beschloss,
früh ins Bett zu gehen.
Während sie den
Apfelmost tranken, kam der junge Joshie zu ihnen. »Mutter Priorin, Seine
Eminenz der Bischof bittet Euch, zu ihm in den Priorspalast zu kommen, wenn es
Euch genehm ist.«
Caris seufzte
gereizt. Zweifellos hatte Sime sich beschwert, und das konnte sie jetzt am
allerwenigsten brauchen. »Sag ihm, ich komme sofort.« Mit leiser Stimme fügte
sie hinzu: »Dann habe ich es hinter mir.« Sie leerte ihren Krug und ging.
Müde überquerte sie
den Kathedralenvorplatz. Die Händler packten bereits zusammen, deckten ihre
Waren ab und verschlossen die Stände.
Caris betrat den
Priorspalast. Bischof Henri saß am Kopf der Tafel. Kanonikus Claude und
Erzdiakon Lloyd waren bei ihm. Philemon und Sime waren ebenfalls zugegen. Godwyns
Katze, Erzbischof, saß auf Henris Schoß und blickte selbstgefällig drein. Der
Bischof sagte: »Bitte setzt Euch.«
Caris nahm neben
Claude Platz. Der Kanonikus sagte besorgt: »Ihr seht müde aus, Mutter Caris «
»Ich habe den
Nachmittag damit verbracht, dumme Jungen zu verbinden, die sich auf eine nicht
minder dumme Katzbalgerei eingelassen hatten. Außerdem habe ich selbst einen
Schlag auf den Kopf abbekommen.«
»Wir haben von dem
Kampf gehört.«
Henri fügte hinzu:
»Und von dem Streit um das neue Hospital.« »Ich nehme an, deshalb hat man mich
gerufen.« »So ist es.«
»Das neue Hospital
wurde vor allem deshalb errichtet, Kranke mit ansteckenden Leiden …«, begann
Caris.
»Ich weiß, um was
es bei dem Streit geht«, unterbrach Henri sie; dann wandte er sich an sämtliche
Anwesende. »Mutter Caris hatte befohlen, die bei dem Kampf Verletzten in das
alte Hospital zu bringen. Bruder Sime widerrief ihre Anweisungen. Daraufhin
trugen beide vor aller Augen einen Streit aus, der sich für eine Priorin und
einen gelehrten Mönch nicht geziemt.«
Sime sagte: »Dafür
entschuldige ich mich, Euer Eminenz.« Henri achtete nicht auf ihn. »Ehe wir
weiterreden, möchte ich etwas klarstellen.« Er blickte zwischen Sime und Caris
hin und her. »Ich bin euer Bischof und ex officio der Abt der Priorei zu
Kingsbridge. Ich habe das Recht und die Macht, euch allen zu befehlen, und es
ist eure Pflicht, mir zu gehorchen. Ist das klar, Bruder Sime?« Sime neigte das
Haupt. »Jawohl.«
Henri wandte sich
an Caris. »Mutter Priorin?« Es stand natürlich außer Frage. Henri hatte
vollkommen recht. »Ja«, sagte Caris. Sie war zuversichtlich, dass der Bischof
es nicht darauf ankommen ließ, dass verletzte Rabauken sich die Pest zuzogen.
Henri fuhr fort:
»Gestattet mir, die Argumente darzulegen. Das neue Hospital ist vom Geld des
Nonnenklosters nach Mutter Caris‘ Vorgaben errichtet worden. Sie beabsichtigte
dort die Pestopfer und andere Kranke unterzubringen, deren Siechtum sich nach
ihrer Meinung auf Gesunde übertragen kann. Sie hält es für entscheidend
wichtig, die Pestkranken von allen anderen Kranken zu trennen. Vor allem glaubt
sie, darauf bestehen zu können, dass nach ihren Weisungen verfahren wird. Ist
das richtig, Mutter?«
»Ja.«
»Bruder Sime war zu
der Zeit noch nicht hier und konnte daher zu diesen Fragen nicht konsultiert
werden«, fuhr Henri fort. »Doch anders als Mutter Caris hat Bruder Sime an der
Universität drei
Weitere Kostenlose Bücher