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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Jahre
lang Medizin studiert und besitzt einen akademischen Grad. Er weist darauf hin,
dass Mutter Caris keine Ausbildung vorweisen kann und über die Natur der
Krankheiten nur das wenige weiß, was sie durch praktische Erfahrung gelernt
hat. Bruder Sime hingegen ist ein hochgelehrter Arzt und mehr noch — er ist der
einzige Medicus in der Priorei und in ganz Kingsbridge.« »So ist es«, sagte
Sime.
    »Wie könnt Ihr
behaupten, ich hätte keine Ausbildung?«, fuhr Caris auf. »Nach all den Jahren,
die ich mich um Kranke gekümmert habe … «
    »Seid bitte still«,
sagte Henri, fast ohne die Stimme zu heben, und irgendetwas an seinem ruhigen
Tonfall ließ Caris verstummen. »Ich wollte Eure Verdienste gerade erwähnen.
Eure Arbeit ist von unschätzbarem Wert. Ihr seid weithin berühmt für die
Entschlossenheit, mit der Ihr die Pest bekämpft, die uns noch immer plagt. Eure
Erfahrung und Euer praktisches Wissen sind unbezahlbar.«
    »Danke.«
    »Doch Sime ist
Priester, studierter Arzt — und ein Mann. Sein Wissen ist unverzichtbar für den
Betrieb des Hospitals einer Priorei. Wir wollen ihn nicht verlieren.«
    Caris warf ein:
»Einige Magister an der Universität geben mir mit meinen Methoden recht. Fragt
Bruder Austin.«
    »Bruder Austin«,
erwiderte Philemon, »wurde nach St.-John-in-the-Forest versetzt.«
    »Und wir wissen
alle, warum«, entgegnete Caris.
    Der Bischof sagte
streng: »Ich muss diese Entscheidung fällen, nicht Bruder Austin oder die Herren
Magister.«
    Caris begriff, dass
sie unvorbereitet in einen Entscheidungskampf gegangen war. Sie war erschöpft,
hatte Kopfschmerzen und konnte nicht mehr klar denken. Wäre sie klar im Kopf
gewesen, als der Bischof sie rufen ließ, wäre sie seiner Aufforderung, bei ihm
zu erscheinen, gar nicht erst gefolgt. Sie wäre ins Bett gegangen, hätte die
Kopfschmerzen überwunden und wäre am Morgen erfrischt aufgewacht. Ohne einen
Schlachtplan hätte sie sich gar nicht erst mit Henri getroffen.
    War es nun zu spät?
    »Eminenz«, sagte
sie, »ich fühle mich der Diskussion heute Abend nicht gewachsen. Vielleicht
sollten wir das Gespräch auf morgen verschieben, wenn ich mich wieder besser
fühle.«
    »Das ist nicht
nötig«, erwiderte Henri. »Ich habe Bruder Simes Beschwerde gehört und kenne
Eure Ansicht. Außerdem breche ich im Morgengrauen auf.« Also hatte er seine
Entscheidung bereits getroffen. Caris fiel nichts ein, was sie noch zu ihren
Gunsten hätte vorbringen können. Wie hatte Henri sich entschieden? In welche
Richtung wendete er sich? Sie wusste es nicht. Sie war so erschöpft, dass sie
nur noch dasitzen und sich anhören konnte, welches Schicksal ihr beschieden
wurde.
    »Der Mensch ist
schwach«, sagte Henri. »Wir sehen alles wie in einem dunklen Spiegel, wie der
Apostel Paulus es ausdrückt. Wir irren, wir weichen vom Weg ab, wir überlegen
schlecht. Wir brauchen Hilfe. Zu diesem Behufe hat Gott uns seine Kirche
gegeben, den Heiligen Vater und die Priesterschaft — um uns anzuleiten, weil
unsere eigenen Mittel fehlbar und unzureichend sind. Wenn wir dem Weg unserer
eigenen Gedanken folgen, werden wir scheitern. Wir müssen uns an die
Autoritäten wenden.«
    Es sah aus, als
stärkte er Bruder Sime den Rücken, schloss Caris. Konnte er wirklich so dumm
sein?
    »Bruder Sime«, fuhr
Henri fort, »hat unter Anleitung der Magister an der Universität die großen
Lehrer der Medizin studiert. Seine Studien sind von der Kirche gebilligt. Wir
müssen die Autorität der alten Gelehrten anerkennen — und damit auch die von
Bruder Sime. Sein Urteil kann nicht dem eines ungelehrten Menschen unterstellt
werden, ganz gleich, wie tapfer und bewunderungswürdig dieser Mensch auch sein
mag. Bruder Simes Entscheidungen müssen beachtet werden.«
    Caris war so müde,
dass sie beinahe froh war, dass diese Diskussion zu Ende ging. Sime hatte
gesiegt, und sie war die Verliererin.
    Caris wollte nur
noch schlafen. Sie erhob sich und wandte sich zum Gehen.
    Henri sagte: »Ich
enttäusche Euch nur ungern, Mutter Caris, aber… « Seine Stimme verebbte, als
Caris schweigend davonging. Philemon rief: »Was für ein unverschämtes
Benehmen!« Henri sagte ruhig: »Lasst sie gehen.« Caris verließ das Haus des
Priors, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
    Die volle Bedeutung
des Geschehens ging ihr erst auf, als sie mit müden Schritten über den
Kathedralenvorplatz ging: Jetzt leitete Bruder Sime das Hospital. Sie musste

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