Die Tore der Welt
seine Anweisungen befolgen.
Es würde keine
Trennung der Kranken mehr geben, keine Gesichtsmasken, kein Händewaschen mit
Essig. Schwache würden durch den Aderlass noch mehr geschwächt; Ausgezehrte
durch Abführmittel noch verhärmter; Wunden würden mit Breiumschlägen aus
Tierkot behandelt, damit der Körper Eiter produzierte. Niemand würde sich
Gedanken um Reinlichkeit oder frische Luft machen.
Caris sprach mit
niemandem, als sie durch den Kreuzgang schritt, die Treppe hinaufstieg und
durch das Dormitorium in ihre Schlafkammer ging. Sie legte sich mit dem Gesicht
nach unten aufs Bett. Ihr dröhnte der Schädel.
Sie hatte Merthin
verloren, sie hatte ihr Hospital verloren, sie hatte alles verloren.
Kopfverletzungen
konnten tödlich sein, das wusste sie. Vielleicht schlief sie ja ein und wachte
nie mehr auf.
Vielleicht wäre es
das Beste.
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KAPITEL 79
Merthins Obsthain
war im Frühjahr 1349 gepflanzt worden. Ein Jahr später hatten die meisten Bäume
Wurzeln geschlagen und ließen wacker Blätter sprießen. Zwei oder drei kämpften
ums Überleben, und nur einer hatte es eindeutig nicht geschafft. Merthin
erwartete nicht, dass sie schon Früchte trugen, doch zu seiner Überraschung
hatte ein Schößling ein halbes Dutzend kostbare, winzige dunkelgrüne Birnen
hervorgebracht, noch klein und steinhart, die versprachen, im Herbst zu reifen.
Eines
Sonntagnachmittags zeigte er sie Lolla. Sie wollte ihm nicht abnehmen, dass
diese kleinen grünen Dinger zu dem saftigen, würzigen Obst heranwachsen
könnten, das sie so gern aß. Sie glaubte — oder gab vor zu glauben —, er treibe
mit ihr eines seiner Spiele, mit denen er sie zum Denken reizte. Als er sie
fragte, was sie denn denke, woher reife Birnen kämen, sah sie ihn tadelnd an
und erwiderte: »Vom Markt!«
Auch sie würde
eines Tages heranreifen, dachte er, auch wenn er sich nur schwer vorstellen
konnte, wie ihr kindlicher Körper weiche, frauliche Formen annahm. Er fragte sich,
ob sie ihm Enkel schenken würde. Sie war fünf Jahre alt, also mochte dieser Tag
nur ein Jahrzehnt entfernt liegen.
Noch immer
befassten sich seine Gedanken mit Reife, als er sah, wie Philippa durch den
Garten zu ihm kam, und er bemerkte, wie rund und voll ihre Brüste waren. Dass
sie ihn bei Tageslicht aufsuchte, war ungewöhnlich, und er fragte sich, was sie
zu ihm führte. Für den Fall, dass sie beobachtet wurden, begrüßte er sie nur
mit einem züchtigen Kuss auf die Wange, wie ein Schwager ihn der Schwägerin
geben konnte, ohne dass es zu Gerede kam.
Philippa wirkte
nervös, und ihm wurde bewusst, dass sie nun schon einige Tage reservierter und
nachdenklicher war als gewöhnlich. Nachdem sie sich neben ihn ins Gras gesetzt
hatte, fragte er:
»Was bedrückt dich?«
»Ich habe mich noch
nie gut darauf verstanden, jemandem etwas sanft beizubringen«, sagte sie. »Ich
bin schwanger.«
»Gütiger Himmel!«
Merthin war zu erschrocken, um seine Reaktion zu verbergen. »Ich bin überrascht,
denn du hattest mir gesagt…«
»Ich weiß. Ich war
mir auch sicher gewesen, dass ich dafür zu alt wäre. Über zwei Jahre lang habe
ich unregelmäßige Monatsblutungen gehabt, und dann hörten sie ganz auf — dachte
ich. Aber mir ist morgens schlecht, und meine Brustwarzen tun weh.«
»Ich habe deine
Brüste bemerkt, als du in den Garten kamst. Aber bist du dir wirklich sicher?«
»Ich bin schon
sechsmal schwanger gewesen — drei Kinder und drei Fehlgeburten —, ich weiß, wie
sich das anfühlt. Es kann kein Zweifel bestehen.«
Er lächelte. »Nun,
dann bekommen wir ein Kind.« Sie erwiderte sein Lächeln nicht. »Schau nicht so
selbstzufrieden drein. Mein Mann ist der Graf von Shiring. Ich habe seit
Oktober nicht mehr mit ihm geschlafen, lebe seit Februar nicht mehr bei ihm,
und doch bin ich im Juli im zweiten, höchstens dritten Monat. Er und die ganze
Welt werden wissen, dass das Kind nicht von ihm ist und dass die Gräfin von
Shiring Ehebruch begangen hat.« »Aber er kann dich doch nicht —«
»Töten? Er hat Tilly
getötet, oder?«
»O du lieber Gott.
Ja, das hat er. Aber —« »Und wenn er mich tötet, bringt er auch mein Kind um.«
Merthin wollte entgegnen, Ralph würde so etwas nie tun — aber er wusste es
besser.
»Ich muss
entscheiden, was ich tue«, sagte Philippa.
»Ich glaube nicht,
dass du versuchen solltest, die Schwangerschaft mit Trünken zu beenden — das
ist zu gefährlich.«
»Das werde
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