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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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beiden Hügelketten schlängelte.
Von dem großen Dorf Outhenby gelangte Gwenda durch die kleineren Gemeinden, die
sie aus der Zeit, die sie im Tal verbracht hatte, als Harn, Shortacre und
Longwater kannte, in die kleinste und abgelegenste Ortschaft Oldchurch.
    Ihre Aufregung
wuchs, je näher sie kam, und sie vergaß sogar ihre wunden Füße. Oldchurch war
ein Weiler von dreißig Katen, von denen keine groß genug war, um als Lehnshaus
oder auch nur als Sitz eines Vogts zu dienen. In Übereinstimmung mit dem Namen
gab es dort allerdings eine alte Kirche. Sie stand schon mehrere Hundert Jahre
dort, schätzte Gwenda. Sie hatte einen gedrungenen Turm und ein kurzes
Hauptschiff aus grobem Mauerwerk mit winzigen quadratischen Fenstern, die
anscheinend planlos in die dicken Wände eingelassen worden waren.
    Sie ging zu den
Feldern auf der anderen Seite des Dorfes. Der Gruppe von Schäfern auf einer
fernen Weide schenkte Gwenda erst gar keine Beachtung: Der kluge Harry
Ploughman hätte Sams Arbeitskraft niemals an eine solch leichte Aufgabe
vergeudet. Sam würde eggen, einen Abwassergraben frei räumen oder bei dem aus
acht Ochsen bestehenden Pfluggespann helfen. Während Gwenda die drei Felder
absuchte, hielt sie nach einer Gruppe Ausschau, die hauptsächlich aus Männern
mit warmen Kappen, schlammigen Stiefeln und lauten Stimmen bestand, mit denen
sie sich über das weite Land zurufen konnten, und einem jungen Mann, der die anderen
um Haupteslänge überragte. Als sie ihren Sohn zunächst nicht sah, überfiel sie
wieder Unruhe. War er bereits festgenommen worden? Oder in ein anderes Dorf
gezogen?
    Sie fand ihn in
einer Reihe von Männern, die Dung auf ein frisch gepflügtes Feld schaufelten.
Trotz der Kälte hatte Sam den Mantel abgelegt. In den Händen hielt er eine
Eichenholzschaufel. Unter dem alten Leinenhemd wölbten und regten sich die
Muskeln seiner Arme und auf seinem Rücken. Ihr Herz füllte sich mit Stolz, als
sie ihn sah, und sie wunderte sich einmal mehr, dass solch ein Kerl ihrem
zierlichen Leib entsprungen sein sollte.
    Als sie näher kam,
sah alles auf. Die Männer starrten sie neugierig an: Wer war sie, und was
wollte sie hier? Sie ging direkt zu Sam und umarmte ihn, obwohl er nach
Pferdemist stank. »Sei gegrüßt, Mutter«, sagte er, und die anderen Männer
lachten.
    Ihre Fröhlichkeit
verblüffte Gwenda.
    Ein drahtiger Mann
mit einer leeren Augenhöhle rief: »Wein nicht, Sam, alles wird gut!«, und sie
lachten wieder.
    Gwenda begriff,
dass sie es komisch fanden, wenn ausgerechnet die kleine Mutter des großen Sam
herbeikam und nach ihm sah, als sei er ein ungeratener Junge.
    »Wie hast du mich
gefunden?«, fragte Sam.
    »Ich habe Harry
Ploughman auf dem Markt von Northwood getroffen.« »Ich hoffe, niemand ist dir
hierher gefolgt.« »Ich bin aufgebrochen, ehe es hell wurde. Dein Vater sagt den
Leuten, ich wäre nach Kingsbridge gegangen. Niemand ist mir gefolgt.« Sie
sprachen einige Minuten lang, dann sagte Sam, er müsse wieder an die Arbeit,
sonst wären die anderen Männer ärgerlich, dass er alles ihnen überließ. »Geh
ins Dorf zurück und such die alte Liza«, sagte er. »Sie wohnt gegenüber der
Kirche. Sag ihr, wer du bist, und sie wird dir zu essen geben. Ich bin bei
Sonnenuntergang dort.« Gwenda blickte in den Himmel. Es war früher Abend, und
die Männer dürften in etwa einer Stunde gezwungen sein, mit der Arbeit
aufzuhören, weil sie nichts mehr sehen konnten. Sie küsste Sam auf die Wange
und ließ ihn zurück.
    Sie fand Liza in
einer Kate, die etwas größer war als die meisten — sie hatte zwei Zimmer statt
des üblichen einen. Die Frau stellte Gwenda ihrem Mann Rob vor, der blind war.
Wie Sam gesagt hatte, war Liza gastfreundlich: Sie stellte Brot und Suppe auf
den Tisch und schenkte Gwenda einen Becher Bier ein.
    Gwenda fragte Liza
nach deren Sohn, und es war, als hätte sie einen Zapfhahn geöffnet. Liza hörte
nicht auf, von ihm zu erzählen, begann mit dem Säugling und schilderte sein
Leben minutiös bis zur Lehrzeit, als der alte Mann sie schroff mit einem Wort unterbrach:
»Pferd.«
    Sie verstummten,
und Gwenda hörte den rhythmischen Hufschlag eines trottenden Pferdes.
    »Kleines Pferd«,
sagte der blinde Rob. »Ein Zelter oder ein Pony. Zu klein für einen Edelmann
oder Ritter, aber es könnte eine Dame tragen.«
    Gwenda überkam ein
Angstschauder.
    »Zwei Besucher
innerhalb einer Stunde«, stellte Rob fest.

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