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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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müssen. Bretter kann ich dafür nicht von der Baustelle heimschleppen, die muss ich irgendwo in der Stadt klauen. Was ich aber mitnehmen kann, sind ein ordentlicher Hammer und eiserne Nägel. Nägel sind schon was Besonderes, die muss der Schmied machen. Meistens nimmt man als Verbindung zwischen Brettern hölzerne Zapfen, aber das mit dem Verzahnen kann ich nicht, und mit einem Nagel geht’s viel einfacher. Also stecke ich mir jeden Tag vor dem Feierabend eine Handvoll kostbare Nägel in die Tasche und nehme sie mit heim. Geht ganz einfach, denke ich, und dann ist der Hammer dran. Ich passe auf, wann einer der Zimmerleute auf Pinkeln geht, und schnappe mir unauffällig einen ganz neuen Hammer, mit festem geradem Stiel, das Eisen auf einer Seite flach und auf der anderen spitz.
    Blöderweise merkt der Kerl, dass ihm der Hammer fehlt, und sucht und sucht. Schließlich brüllt er herum, dass ihm einer das Ding geklaut hat. Ich tu so, als ginge mich das gar nichts an, aber als ich abends vom Gerüst steige, rutscht mir der Hammer aus dem Gürtel unterm Hemd, wo ich ihn hingesteckt habe, gleitet zwischen Bein und Hose nach unten und fällt auf den Boden. Just in dem Augenblick, als der Meister vorbeigeht.
    »Saubengel, vermaledeiter!«, brüllt er. »Elendes Diebsgesindel!«
    Ich will weglaufen, aber da hat er mich schon am Genick gepackt. »Kunz«, brüllt er in Richtung der Zimmerleute, »kannst deinen Hammer holen!« Kunz kommt wutschnaubend herbei, und ich ducke mich, aber es nützt nichts, er verpasst mir die übelste Maulschelle meines Lebens. Es tut so weh, dass ich heulen muss.
    »Freundchen«, sagt der Meister zuckersüß, »dafür kommst du ins Loch!«
    Ich heule noch mehr und fange an zu betteln. »Bitte, Meister Vitus, ach bitte, lasst mich laufen. Wir sind doch so arm. Meine Mutter ist krank und ich hab neun Geschwister, der Vater ist im letzten Winter am Lungenfluss gestorben. Ich bin der Älteste, ohne mich müssen sie verhungern. Ach bitte, Meister, habt doch Mitleid.«
    Meister Vitus blickt finster, aber Kunz zuckt mit den Schultern. »Lasst ihn in Gottes Namen«, sagt er. »Der ist schon genug gestraft, wenn er hier seine Arbeit verliert. Und ich hab meinen Hammer ja wieder.«
    Der Meister runzelt die Stirn. »Von mir aus«, grummelt er und lässt mich los. Dann haut er mir auch eine herunter, dass ich beinahe Sternchen sehe. »Damit du dir’s merkst. Und jetzt verschwinde und lass dich nie wieder blicken.«
    Ich haue ab, so schnell ich kann.
     
    Erst traue ich mich gar nicht heim. Jetzt hab ich nur noch die paar Pfennige, die ich jede Woche mit Schmierestehen bei den heimlichen Messen verdiene, und das langt hinten und vorne nicht. Wie soll ich der Mutter bloß sagen, dass ich meine Arbeit verloren hab? Bestimmt weint sie dann, und das kann keiner aushalten. Sie weint ja sowieso schon oft, weil sie dauernd krank ist und das Irmel und das Hannolein auch. Alle haben den Rasselhusten, im Winter hat’s angefangen. Ist ja auch kein Wunder, wenn’s in unserem Wohnkeller so feucht ist, dass die Kleider nie trocknen. Mutter hat sich bei Lutprant beschwert, aber der hat gesagt: »Wer lang hustet, lebt lang«, und mit den Achseln gezuckt. Man fragt sich, wer in diesem Loch überhaupt lang leben will. Ich jedenfalls nicht.
     
    Als es langsam dunkel wird, bleibt mir nichts anderes übrig als heimzugehen. Die werden sich schon Sorgen um mich machen, denke ich. Aber wie ich in den Keller komme, stimmt irgendwas nicht. Das Irmel läuft mit vollgeschissener Windel herum, brüllt zum Gottserbarmen und stinkt drei Meilen gegen den Wind. Das Hannolein hockt am Boden und wippt vor und zurück, das Auge ganz nach hinten weggerollt. Ratz liegt mit eingezogenem Schwanz an seinem Platz vor dem Herd und winselt leise. Michel ist wie immer nicht da, und Ida kommt mir entgegen, einen blutigen Lumpen in der Hand. Ganz käseweis ist sie im Gesicht.
    Die Mutter liegt im Bett, und alles ist voller Blut. Sie stöhnt, ihre Augen sind geschlossen. Ich rüttle sie am Arm, aber sie macht die Augen nicht auf. »Mutter«, rufe ich, »was ist dir bloß?« Aber ich weiß schon, das es was Schlimmes sein muss, bei so viel Blut. Mir wird ganz eiskalt. »Hol die Hausmännin!«, sag ich zu Ida. Die alte Hausmännin wohnt gleich nebenan, und sie steckt uns manchmal ein Stück Brot zu oder einen Birnenschnitz.
    Die Hausmännin komm sofort, und sie hat ihre Tochter mitgebracht, die Korbflechters-Hilde. Sie scheucht uns alle in die Ecke und

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