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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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machte sich auch äußerlich bemerkbar: Schon immer war sie ein bisschen pummelig gewesen, und mit jeder Schwangerschaft hatte sie an Gewicht zugenommen. Das passte ganz und gar nicht in Konrads Vorstellungen von Askese und Selbstverleugnung, die zu einem heiligmäßigen Leben unbedingt gehörten. Nun konnte er ihr schlecht einfach das Essen verbieten, aber er verfiel auf einen sehr sinnreichen Gedanken. Er erklärte ihr, dass es unrecht sei, von den Gütern ihres Mannes Gebrauch zu machen, über die sie kein gutes Gewissen habe. »Was Fürsten und Herrn in Wollust verzehren, das müssen die Armen entbehren«, sagte er. »Das ist gegen Gottes Willen«. Elisabeth solle also keine Erträge des Landes genießen, die aus zu harten Abgaben stammten, von allzu hoch angesetzten Steuern oder womöglich aus unrechtem Lehnsbesitz oder angeeignetem Kirchengut. Alles, was die Armen bedrückte, solle sie sich versagen. Natürlich war es fast unmöglich, bei sämtlichen Dingen, die auf den Tisch kamen, genau zurückzuverfolgen, woher man sie hatte. Das sagte ich dem Magister Konrad auch. »Dann muss deine Herrin im Zweifel sich für ihren Magen oder für Gott entscheiden«, erwiderte er barsch. »Ich bin mir sicher, sie wird das Richtige tun.«
    Später verstand ich: Dies war Konrads erster Schritt zu Elisabeths Unterwerfung. Er wusste genau, wie schwer ihr das Speisegebot fallen würde. Befolgte sie seine Anweisungen, dann würde sie sich auch weitergehenden Befehlen nicht entziehen.
    Und Elisabeth übte sich in Gehorsam. Sie beschloss, in Zukunft nur noch Speisen zu sich zu nehmen, die aus ihren Eigengütern, also ihrem Witwengut stammten. Denn diese waren ihr rechtmäßiger Besitz, und hier konnte sie die Höhe der Steuern und Abgaben so bemessen, dass die Bauern nicht über die Maßen darunter zu leiden hatten. Dem stimmte Konrad zu, bevor auch er die Wartburg verließ, um seine Predigtreise fortzusetzen. Er versprach ihr zurückzukehren, sobald es ihm möglich war.
     
    Von diesem Tag an war der Hunger regelmäßiger Gast an unserer Tafel. Denn Elisabeths Eigengüter lagen zum Teil weit entfernt, etliche davon sogar in Hessen, und alles musste erst mühsam mit Wagen herbeigeschafft werden, was oft zu Verspätungen führte, in denen wir darben mussten. Wenn dort die Ernte verhagelte, hatten wir eben kein Brot, und erfror der Wein, mussten wir Wasser trinken. Es war schwer, sich daran zu gewöhnen, auch für mich, die ich ja eigentlich nicht an das Fastengebot gebunden war. Aber ich konnte schließlich nicht üppige Mahlzeiten verspeisen, während die anderen neben mir am Tisch saßen und an einem Kanten Brot nagten. Ich aß dann manchmal anderswo oder ging zwischendurch in die Küche, wenn ich hungrig war. Auch Isentrud nahm es mit dem Essen nicht so genau und holte sich oft heimlich, worauf es sie gelüstete. Nur Elisabeth und Guda hielten sich eisern an ihr Gelübde.
    Das blieb natürlich nicht unbemerkt, und die Ablehnung des Hofadels wurde immer augenfälliger, die bösen Bemerkungen häufiger. »Jetzt ist sie endgültig übergeschnappt«, geiferte der dicke Fahner, und die anderen Ritter schlossen sich seiner Meinung an. Hatten ihre Ehefrauen vorher noch an unserer Tafel im Frauenzimmer gespeist, so blieben sie jetzt nach und nach weg. Ich verstand das; sie hätten zwar nicht mitfasten müssen, aber es war nun einmal kein Vergnügen, Lammbraten, Kapaun und Hühnchen zu essen, wenn die Landgräfin danebensaß und gottergeben Hirsebrei löffelte. Elisabeths Verhalten kam ja einer Vorführung gleich: Seht her, bedeutete es, ihr lebt unchristlich und verwerflich, während ich und meine Zofen nach Gottes Willen handeln. Ihr seid schlecht und eigensüchtig. Dem mochte sich keine der Hofdamen lange aussetzen.
    Um Elisabeth wurde es immer einsamer.

Primus
    H euer ist das schlimmste Hungerjahr seit Menschengedenken, sagt der Pfarrer. Es gibt kein Korn mehr zum Aussäen. Schon letzten Herbst haben die Bauern und auch die Ackerbürger in der Stadt ihre sämtlichen Schweine notschlachten müssen, weil sie sie nie und nimmer bis zum Frühjahr hätten durchfüttern können. Die Kühe hat man verschont und versucht, sie mit Stroh und Rinde über den Winter zu bringen. Jetzt, wo nach dem vielen Schnee endlich wieder was wächst, waren die Kühe alle zu schwach, um sich im Stall aufzurappeln und auf der Wiese das frische Gras zu fressen. Michel und ich haben uns ein bisschen die Zeit damit vertrieben, dass wir zusammen mit den anderen

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