Die Tore des Himmels
umherziehen sollen.«
Konrad nickte. »Gut gefragt, mein Sohn. Ja, die neuen Ideen von Armut und Gerechtigkeit sind gut und richtig; wie eine ungeheure Woge sind sie über die ganze Christenheit gekommen, nicht nur über die Ketzer. Diese Bösen nutzen nur das Gute, um ihr teuflisches Werk fortzuführen und Anhänger zu gewinnen. Denn sie verehren ja nicht Gott, sondern den Teufel! Sie glauben an die Wiedergeburt ihrer Seele, womöglich als Käfer oder Spinne oder Kröte! Sie sind schlau: Sie fordern, was die neue Bewegung der Gläubigen auch will, um möglichst viele Menschen zu ihrem Teufelsglauben zu verführen. Und wenn die armen Seelen dann erst einmal Luzifer verfallen sind, sind sie unrettbar verloren.«
»Und dieser Franziskus?«, fragte Johannes noch einmal.
»Oh, zuerst hat man in Rom tatsächlich geglaubt, der Toskaner stünde den Katharern nahe. Man hat ihn genau beobachtet, jede seiner Predigten verfolgt. Man hat zugeschaut, wie immer mehr Menschen von seiner Rede angezogen wurden und seiner Lehre anhingen. Und man ist zu dem Schluss gekommen, dass er reinen Glaubens ist. Aber um zu verhindern, dass er womöglich doch noch ins Sündige abgleitet und seine riesige Gefolgschaft an Gläubigen mit sich nimmt, hat man ihn sicher hereingeholt ins Schiff des rechten Glaubens.«
»Wie das?« Johannes kratzte sich am Kopf. Kirchenpolitik war eine knifflige Sache.
»Nun, ganz einfach: Man hat ihm erlaubt, einen Orden zu gründen, dessen Fundament die Heilige Kirche römischen Glaubens ist.«
»Ah! So sammelt er alle, die seiner Meinung sind und dem Armutsgedanken anhängen, unter dem Dach Roms. Dadurch fallen sie nicht mehr dem Ketzertum anheim.«
»Richtig. Franz von Assisi, dessen Gedankengut dem der Ketzer ursprünglich nahestand, ist nun zu einem leuchtenden Beispiel geworden, das genau gegen diese Feinde der Kirche steht. Und alle, die sonst vielleicht für die Ideen der Katharer empfänglich wären, sammeln sich nun um ihn und bleiben so im Schoß der Kirche.«
Konrad sprach nicht weiter. Es war noch zu früh; er wollte Johannes nicht von seinen viel weiter gehenden Vorstellungen erzählen, die Franziskus betrafen. Er, Konrad, war nämlich überzeugt davon, dass dieser Mann das Zeug zum ersten Heiligen der neuen Glaubensbewegung hatte. Die Zeit würde es mit sich bringen. Ein neues, strahlendes Licht am Himmel der Gläubigen. Einer, dem die Massen anhingen wie noch keinem Heiligen zuvor. Und seit gestern gingen Konrads Überlegungen noch weiter: Wie, wenn es nun im Reich eine Frau gäbe, die sich der Armutsbewegung ganz und gar verschreiben würde? Eine Frau von höchstem Adel, die allem Luxus entsagte, alles aufgäbe, um Christus nachzufolgen? Ein weiblicher Franziskus nördlich der Alpen? Das wäre etwas nie Dagewesenes! Und er, Konrad von Marburg, unerbittlichster Feind des Satans, würde diese Frau anleiten und führen? Welch unglaublichen Verdienst würde er sich damit erwerben! Konnte es vielleicht sogar seine Bestimmung sein, die Landgräfin von Thüringen zur Heiligkeit zu befördern? Sie hinzuführen zum Höchsten, dessen ein Mensch fähig war? Er musste es nur richtig machen, sie geschickt lehren, das Notwendige zu tun. Sie würde ihm folgen, das spürte er. Sie war ein Mensch auf der Suche, mit einer tiefen Bereitschaft, sich zu unterwerfen. Sie war ein einfacher Geist, der einen klugen Kopf brauchte. Sie war lenkbar.
Als Konrad sich am Mittag im Frauenzimmer melden ließ, hatte er seinen Entschluss längst gefasst. Er würde Elisabeth von Thüringen zur ersten Heiligen der neuen Zeit machen. Und sich selbst damit einen Weg ebnen, der bis in die höchsten Ämter der Kirche führen konnte, ja – und er wagte es kaum zu denken – bis nach Rom!
So kam es, dass einige Wochen später, am Tag Gertrudis des Jahres 1226 , die Landgräfin Elisabeth von Thüringen dem Konrad von Marburg Gehorsam schwor, im Kloster der heiligen Katharina zu Eisenach. Es war ein weitgehendes Gelübde, und sie hatte dafür nach langem Bitten die Erlaubnis ihres Mannes eingeholt, der schließlich notgedrungen einwilligte, kurz bevor er aufbrach, um dem Ruf des Kaisers zum Reichstag nach Cremona zu folgen. Elisabeth schwor Konrad Gehorsam in allen Dingen, mit Ausnahme der Rechte ihres Mannes. Und sie gelobte ewige Keuschheit und Enthaltsamkeit für den Fall, dass sie Ludwig überleben sollte.
Von nun an war die Landgräfin in allen Dingen, die nicht ihre Ehe betrafen, dem Willen des Kreuzpredigers und
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