Die Tore des Himmels
Ortwin weg.
Wir verlassen Eisenach schon am Abend vorher, quetschen uns durch die Bettlerschar, die inzwischen von den Torwarten auf Befehl des Rats nicht mehr eingelassen wird, und übernachten in dem alten leerstehenden Schafstall, der zum Katharinenkloster gehört. Gleich bei Sonnenaufgang machen wir uns auf den Weg und sind nach zwei Stunden am Treffpunkt.
Ortwin ist schon da, zusammen mit einem langen Lulatsch, den ich nicht kenne. Hans heißt er und sieht so aus, als hätte er schon länger im Wald gehaust.
»Passt auf, ihr zwei«, sagt Ortwin. »Ich hab erfahren, dass der Kreuzprediger, der seit Wochen auf der Wartburg ist, heute Richtung Mühlhausen weiterzieht. Er schleppt den Inhalt des Opferstocks mit sich rum. Einen fetteren Brocken haben wir noch nie erwischt.« Er grinst.
»Ein Priester?« Ich bin ganz schön erschrocken. Irgendjemanden beklauen, ja, aber einen Mann Gottes?
»Wenn du’s nicht machen willst, dann hau lieber gleich ab«, meine Ortwin. »Memmen kann ich nicht gebrauchen.«
Ich schüttle den Kopf. »Blödsinn«, sage ich.
»Ist er allein?«, fragt Michel.
»Nein, die sind zu zweit. Deshalb hab ich euch ja dazugeholt«, erwidert Ortwin. »Zu viert packen wir die auf jeden Fall.«
Ich fühle mich zwar irgendwie schlecht, aber Michel stößt mich aufmunternd in die Seite. Mein kleiner Bruder traut sich einfach mehr als ich. Wir legen uns auf die Lauer, Ortwin und Hans links vom Weg hinter einem umgestürzten Baumstamm, ich rechts vom Weg in einem kleinen Graben. Der Michel soll den Lockvogel machen und hockt sich mitten auf den Weg.
Es dauert fast bis Mittag, als sich zwei Gestalten nähern, einer in dunkler Kutte geht voraus, der andere, größer und in grünem Mantel, läuft hinterher und führt einen Esel. Wir wickeln uns Lumpen ums Gesicht und ziehen unsere Messer, während sie näher kommen. Michel legt sich hin, als ob er vor lauter Schwäche nicht mehr weiterkönne.
Als sie fast schon über Michel stolpern, rappelt der sich auf und packt den ersten am Gewand. »Ein Almosen«, fleht er, »guter Vater, in Jesu Namen, ein Stückchen Brot.«
Die beiden bleiben notgedrungen stehen, und da stürmen wir drei auch schon mit Geheul aus unserem Versteck. Der Michel zerrt immer noch den einen an der Kutte. Der brüllt jetzt und drischt mit seinem Wanderstab auf ihn ein. Und dann zieht plötzlich der andere ein Kurzschwert, das er unter dem Mantel verborgen hat.
»Scheiße!«, schreit Ortwin. Er und Hans versuchen, den Schwerthieben auszuweichen. Michel hat sein Messer gezogen und hält den alten Kuttengeier in Schach. Ich will derweil den Esel wegführen. Aber das Mistvieh bleibt stehen wie angewachsen, ich bringe ihn keinen Schritt weiter, weder vorwärts noch rückwärts. Dabei schreit er, als ob ich ihn abstechen wollte. Also gehe ich den anderen helfen.
Der mit dem Schwert ist ein guter Kämpfer. Aber gegen zwei tut er sich doch schwer. Hans greift ihn von hinten an, und ich trete von der Seite dazu. Ortwin kommt von vorn. Der Mann dreht sich um sich selber und hält seine Waffe drohend ausgestreckt. Ich bekomme eine Heidenangst. Was wollen wir mit unseren Messern da schon ausrichten? Da springt Ortwin plötzlich vor, den langen Dolch in der Hand. Der andere erwischt ihn nicht mit dem Schwert, weil Hans ihm von hinten in den Arm sticht. Der Kerl dreht sich um, und dann brüllt er auf einmal wie verrückt, ein entsetzliches Geheul. Er lässt das Schwert fallen, und ich sehe, dass Hans ihm das Auge ausgestochen hat, Blut und glasiger Glibber laufen ihm über die Backe. Er taumelt und hält beide Hände vor das verletzte Auge. Der ist außer Gefecht, denke ich und trete dem Esel ordentlich in den Arsch, dass er sich endlich bewegt. Derweil zieht Ortwin dem in der Kutte eins über, dass er bewusstlos hinfällt. Ich helfe Michel auf, Ortwin prügelt den Esel, der jetzt endlich losläuft – und in dem Augenblick schnappt sich der Einäugige sein Schwert und rammt es Hans in den Bauch. Der schaut ganz überrascht nach unten, wie die schwarzen Därme aus ihm herausquellen, und hält das blutige Zeug mit beiden Händen fest. Dann geht er in die Knie und fällt aufs Gesicht. Ich renne zu ihm hin und drehe ihn um. Seine Augen flackern, und er will was sagen, und dann ist er tot.
Ortwin stößt ein Wutgeheul aus, das man bis Mühlhausen hören kann. Er reißt dem anderen das Schwert weg und fuchtelt blindwütig damit herum. Der bringt ihn um, denke ich. Und dann zischt das Ding durch die
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