Die Tore des Himmels
Inquisitors unterworfen.
Gisa
M itten im Winter, mit Schnee und Eis, war dieser Mann aus Marburg in Eisenach aufgetaucht und hatte das Kreuz gepredigt. Oh, wir hatten schon von ihm gehört, ihm eilte längst ein Ruf wie Donnerhall voraus. Obwohl Elisabeth nicht ganz gesund war – sie hatte sich beim kleinen Hermann mit Halsschmerzen angesteckt –, musste sie unbedingt hinunter in die Stadt, um den Mann reden zu hören. Wir Zofen gingen alle mit, und es war wirklich so, wie die Leute sagten: Er hatte die magische Gabe, alle Menschen mit seinen Worten zu verzaubern. Wenn man ihn ansah, einen unscheinbaren, rothaarigen, mageren Mann mit merkwürdig schlenkernden Bewegungen, mochte man es fast nicht glauben, aber sobald er zu sprechen begann, geriet man unweigerlich in seinen Bann. Um Elisabeth war es nach den ersten drei Sätzen geschehen, und selbst ich kam mir vor wie der Frosch vor der Schlange, der unfähig ist, sich ihrem lähmenden Blick zu entziehen.
Danach ging alles viel zu schnell.
Endlich hatte Elisabeth das Gefühl, dass jemand sie ernst nahm. Endlich war da ein Mensch, der ihre fromme Überzeugung nicht als Narrheit abtat, der sie, im Gegenteil, noch in ihrem Handeln bestärkte. »Auf jemanden wie ihn habe ich immer gewartet«, sagte sie zu Guda und mir. »Ich habe ihn gebeten, mein Beichtvater zu sein. Er wird mir helfen, das Höchste zu erringen, was einem Menschen vergönnt sein kann.«
Ich verstand sofort, ich kannte ja ihren alten Kindertraum. »Du meinst, er hat dir versprochen, dass er dich zur Heiligen machen wird?«
Sie strahlte übers ganze Gesicht. »Ja«, sagte sie einfach.
Ich konnte es kaum fassen. »Aber Elisabeth«, erwiderte ich, »das ist eine ungeheuerliche Behauptung, geradezu lästerlich. Niemand anders als Gott kann so etwas tun.«
»Warum kann Gott nicht einen Menschen wie Meister Konrad zu seinem Werkzeug machen? Ich weiß, er hat ihn zu mir geschickt. Er hat meine Gebete erhört.«
Guda runzelte die Stirn. »Mir ist er irgendwie unheimlich«, sagte sie. »Er hat so einen finsteren Blick.«
Sie sprach mir aus der Seele. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass diesem Mann etwas Düsteres anhing, etwas, das ich nicht beschreiben, an nichts festmachen konnte. Es war vielleicht am ehesten sein bohrender Blick, der mich beunruhigte. Oder der bittere, harte Zug um seinen Mund. Ich weiß es nicht. Aber jedes Mal, wenn er den Raum betrat, befiel mich ein Unbehagen, das ich mir nicht erklären konnte. »Er schleicht überall herum«, sagte ich. »Und sein Gehilfe auch. Die suchen nach Ketzern, um sie zu bestrafen.«
»Und, ist das nicht recht?«, fragte Elisabeth.
»Drüben in Waltershausen haben sie die alte Walfrieda angeblich der Ketzerei überführt. Dabei weiß doch jeder, dass sie die Fallsucht hat und einfach nur schwach im Kopf ist. Das ist nicht recht!«
Elisabeth wurde richtiggehend böse. »Wie kannst du die guten Absichten eines studierten Magisters der Theologie in Frage stellen? Der Papst hat ihn zum Kreuzzugsprediger ernannt, das ist eines der wichtigsten Ämter in der Kirche! Nur wenigen wird diese Ehre zuteil! Und du bezichtigst ihn des Unrechts?«
»Jeder Mensch ist fehlbar. Warum willst du ausgerechnet ihn als Beichtvater? Wenn dir schon Vater Rodeger nicht mehr genügt, dann nimm doch einen Abt oder einen Bischof.«
Elisabeth richtete sich hoch auf. »Ich werde Konrad von Marburg Gehorsam geloben, weil er das lebt, was er predigt. Weil er nichts besitzt, sondern gänzlich bettelt, unbeirrbar und beharrlich in der Nachahmung Christi. Und weil ihr zu mir gehört, meine Schwestern und Dienerinnen seid, möchte ich, dass ihr dasselbe tut.«
Guda sah mich mit einem verzweifelten Blick an. »Ich weiß nicht …«, zögerte sie. Aber schließlich seufzte sie ergeben und nickte. »Ich tue, was du tust, Erszi«, sagte sie. »Vielleicht führt er ja auch mich auf einen guten Weg.«
Isentrud, die bisher nichts gesagt hatte, nickte bedächtig. »Ich bin nicht sicher, ob dieser Konrad die rechte Wahl ist, aber mein Platz ist an der Seite meiner Herrin.«
»Lasst mir Bedenkzeit«, bat ich.
Am selben Tag noch sprach ich lange mit Vater Rodeger. Er war betrübt, denn Elisabeths Schwur bedeutete für ihn, dass er nicht mehr ihr Beichtvater bleiben würde. Das wäre ab da Konrad von Marburg, und der würde keinen Nebenbuhler dulden. »Ganz gleich, was deine Herrin tut – du musst nicht gegen deine innere Überzeugung handeln«, riet er mir schließlich.
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