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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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entkräftet, und schlafen. »Ob die überhaupt wieder aufwachen?«, fragt Ida leise. Ich weiß es nicht. Und wie ich mich so umsehe, kriege ich eine Mordswut. Auf den lieben Gott, auf Jesus, den Heiligen Geist und das ganze andere Gesocks an Heiligen und Seligen. Die könnten alles ändern und wollen nicht. Ein Schnips mit dem Finger, und es könnten hundert Laibe Brot vom Himmel fallen. Oder meinetwegen Manna. Mir kann doch keiner erzählen, dass all die Armen und Hungernden so schlechte Menschen sind, dass sie solche Strafe verdienen. Also was ist, Gott, denke ich. Bist du blind? Tu doch endlich was!
    Eine Frau fängt an zu schreien. Sie streckt uns ihr Kind entgegen, das sie im Arm gehalten hat. Es ist tot.
     
    Eine ganze Zeit später geht plötzlich tatsächlich das Tor auf. Erst kommen Wächter heraus mit Lanzen, die verhindern sollen, dass die Bettler in den Burghof drängen. Und dann ist da die Dunkle mit ihren Dienerinnen. Alle tragen Körbe mit Brot. Die Leute drängen mit letzter Kraft zum Tor. Die Dunkle teilt aus, jeder kriegt ein Brot. Wer einen Laib erwischt hat, verzieht sich an eine ruhige Stelle und schlingt, was das Zeug hält. Ich und Ida, wir zwängen uns auch vor, und dann stehen wir vor der Dunklen. Ich schnappe mir ein Brot, beiße gierig hinein und will schon wieder weg, als eine Stimme sagt: »Dich kenn ich doch!«
    Ich werd verrückt! Es ist mein Engel. Ich schaue sie an und kaue und schlucke und kann gar nichts sagen. Der Engel wechselt ein paar Worte mit der Dunklen, und dann schieben mich die beiden zu einem der Wächter. »Warte«, sagt die Dunkle.
    Als alles Brot verteilt ist, nimmt mich der Wächter mit hinein in die Burg. Mein Engel Gislind geht mit mir in die Küche und lässt mir Essen vorsetzen. Kraut, Rauchfleisch, Würste. Ich schlage mir den Magen so voll, dass ich mich nicht mehr rühren kann. Sie steht dabei und freut sich, wie es mir schmeckt. »Morgen darfst du wiederkommen«, sagt sie. »Dann zeig ich dir, wie groß dein Hündchen schon geworden ist.«
    Ich fasse mir ein Herz. »Meine Mutter«, sage ich. »Und meine Brüder und Schwestern. Wir haben nichts mehr zu essen, und das Hannolein und das Irmel müssen bald sterben.«
    Sie sagt nichts, packt aber Brot und andere Sachen in einen kleinen Sack. »Sei vorsichtig«, sagt sie, »damit’s dir keiner wegnimmt.«
    Jetzt hab ich nicht mehr so viel Wut auf den lieben Gott. Aber verstehen tu ich’s trotzdem nicht, warum ich Glück hab und das Kind, das draußen gestorben ist, nicht.
     
    Ab da hole ich jeden Tag Essen aus der Burg. Ida geht auch meistens mit, oder Michel. Der Bauch vom Hannolein verschwindet, und das Irmel muss sein Hemdchen nicht mehr anfressen. Wir sind gerettet, zumindest fürs Erste.

Gisa
    D ie Strafe Gottes ist über Thüringen gekommen. Das sagte zumindest Konrad von Marburg, bevor er nach Norden zog. Es war schon das dritte schlechte Jahr, und die Menschen starben wie die Fliegen. Jeden Tag speisten wir die Armen, die in Scharen vor die Burg zogen. Es wurden immer mehr, die Not war furchtbar. Boten kamen aus allen Ecken des Landes, um zu melden, dass Klöster und Städte die Bettlerscharen nicht mehr ernähren könnten. Ritt man über Land, so sah man an den Wegrändern die Leichen, ausgemergelte Gerippe, von Wölfen und Hunden angefressen. Es war eine schlimme Zeit.
    Elisabeth litt mit den Hungernden. Sie verkaufte immer wieder Schmuck und Kleinodien aus ihrer Mitgift, um Almosen geben zu können, aber wir wussten alle, dass dies nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein war. Und es würde noch Monate bis zur nächsten Ernte dauern, die niemals ausreichen konnte, weil ja vom vorigen Jahr so gut wie kein Saatgetreide mehr übrig war. Eines Abends saßen wir am Spinnrocken, müde und niedergeschlagen, da sagte Elisabeth: »Morgen lasse ich die Speicher öffnen, mögen die Räte sagen, was sie wollen.«
    Isentrud und ich sahen uns an. Ja. Wenn wir noch Leben retten wollten, war das der einzige Weg. Guda ging und bat alle Räte, die sich gerade auf der Burg aufhielten, in die landgräfliche Schreibstube: Heinrich von Ebersburg, Rudolf von Vargula, Hermann von Schlotheim, Hermann von Treffurt und den dicken Fahner, dazu die Burggrafen von Creuzberg und Altenburg, Ludolf von Ballenstedt und Friedhelm von Buch. Mit ernsten Gesichtern versammelten sie sich um den langen Tisch.
    »Ihr guten und hochweisen Herren«, begann Elisabeth und bedeutete den Räten, sich zu setzen. »Euch ist die große Not

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