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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Hände.
    Sophia blieb stumm.
    Elisabeth wich zurück. »Nein«, flüsterte sie.
    Sophia schloss die Augen. Dann nahm sie Elisabeths Hand und legte etwas hinein.
    »Nein!«, keuchte Elisabeth, »nein!«
    Auf ihrer Handfläche lag Ludwigs Ring. Das Lamm Gottes, eingeritzt in einen funkelnden Rubin.
    Sie ließ den Goldreif fallen, als habe sie sich an ihm verbrannt. Taumelte rückwärts, die Hände gegen die Schläfen gepresst. Floh aus dem Zimmer, lief wie von Sinnen aus der Frauenkemenate, über den Gang bis zur gegenüberliegenden Wand, vor der sie schluchzend zusammenbrach. Ein-, zwei-, dreimal schlug sie die Stirn gegen den rauen Stein, bis ihr das Blut über die Augen rann. Dann war Sophia bei ihr, hielt sie fest, wiegte sie in ihren Armen. Isentrud kam gelaufen, die kleine Gertrud schlafend in der Ellbeuge. Guda und Gislind stürzten herbei.
    »Ludwig ist tot«, sagte Sophia zu ihnen, ohne Elisabeth loszulassen. »Holt den Arzt.«
     
    Später lag Elisabeth in ihrem Himmelbett, fest eingepackt in Decken und Laken, gewärmt von einer kohlegefüllten Bettpfanne. Der Arzt hatte ihr einen Beruhigungstrank aus Mohnsaft, Johanniskraut und Hopfen eingeflößt, der ihren Körper seltsam gefühllos machte – aber nicht ihre Seele. Sie hielt die Augen mühsam halb offen, sie konnte nicht einschlafen, der Schmerz war zu groß. Immer wieder flüsterte sie denselben Satz vor sich hin, halblaut, mit schwerer Zunge: »Jetzt ist mir alle Welt tot.«
    Sophia und die Zofen wichen nicht von ihrer Seite. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie schlief nicht. Man brachte ihr die Kinder. Sie sah durch die kleinen Gesichtchen hindurch wie durch Glas. Vier Tage ging das so. Dann fand Isentrud, es sei genug. Sie ließ einen großen hölzernen Badezuber herbeischaffen und mit heißem Wasser füllen. Entschlossen wickelte sie Elisabeth aus ihrem Bettzeug und stellte sie nackt in das Schaff. Mit einem in Rosenöl getauchten Waschlappen aus geflochtenem Binsengras rieb sie ihre Herrin ab, bis deren Haut am ganzen Körper krebsrot war. »Ah, da fließt doch noch Blut in den Adern«, stellte sie fest und half Elisabeth aus dem Wasser. »Du musst nämlich weiterleben, Kind. Für dich selber. Und für deine Kinder.«
    Guda zog ihr ein schlichtes, graues Witwenkleid an und Gislind steckte ihr das Haar auf. »Und vergiss nicht, die Armen!«, sagte sie eindringlich, während sie die Haube festband. »Und die Kranken drunten im Hospital. Die brauchen dich.«
    Elisabeth hatte alles mit sich geschehen lassen. Erst bei der Erwähnung des Hospitals blickte sie auf. Isentrud stieß Gislind an. »Ja«, sagte sie eifrig, »alle fragen nach dir! Sie vermissen dich, vor allem die Kleinen. Und sie haben Angst, wie es jetzt weitergehen soll mit ihnen und mit allem überhaupt.«
    Sophia war hereingekommen, einen Napf mit Hühnerbrühe in der Hand. »Wie soll es nun überhaupt mit dir weitergehen, Elisabeth?«, ergänzte sie. »Das ist doch die Frage.«
    Isentrud nahm ihr mit einem vorwurfsvollen Blick die Schüssel weg und setzte sich zu Elisabeth an den Tisch. »Erst einmal wird gegessen«, sagte sie. »Wenn man über die Zukunft nachdenken soll, muss man den Magen voll haben. Dann sieht man alles nicht mehr so schwarz.« Energisch tauchte sie den Löffel in die Suppe und hielt ihn Elisabeth so lange unter die Nase, bis sie nachgab und den Mund öffnete.
    Nachdem der Napf leergegessen war, stand Elisabeth auf und tat einen tiefen Atemzug. »Ich bitt Euch, geht nun«, sagte sie zu Sophia und den Dienerinnen. »Ich möchte eine Weile allein sein.«
    Sie kniete sich vor das Kruzifix in der Ecke der Bohlenstube und faltete die Hände. Und mit einem Mal lockerte sich der Knoten in ihrer Brust, barst die eiserne Klammer, die sich um ihr Herz gelegt hatte. Unablässig strömten die Tränen über ihr Gesicht, während sie die ganze Nacht lang stumme Zwiesprache mit Gott hielt.
     
    Am nächsten Morgen verließ Elisabeth blass, aber gefasst die Bohlenstube. Eine Veränderung war mit ihr vorgegangen. Mitten im tiefsten Kummer spürte man ihre Entschlossenheit weiterzuleben. In den folgenden Tagen kehrte nach und nach ihre alte Tatkraft zurück. Sie sprach mit Hermann und der kleinen Sophie über Ludwigs Tod, ließ sich selber von dem Boten alles schildern, was sich auf dem Kreuzzug zugetragen hatte. Sie ging in die Kapelle zum Beten, entzündete Kerzen auf dem Altar, ordnete an, dass im ganzen Land Totenmessen gelesen werden sollten. Sie diktierte dem Hofgeistlichen einen

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