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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Nur Ortwin ballte die Fäuste, trat in seiner Wut gegen ein Weinfass. Das durfte doch nicht wahr sein! Schlug der Landgraf dem Tod doch tatsächlich ein Schnippchen, verdammt! Düster blickend hockte Ortwin sich wieder auf seine Seilrolle und grübelte. Er sah zu, wie vor Sonnenuntergang die Segel für die Nacht eingeholt wurden, verspeiste seine Ration Brot und Hartkäse, die zur Abendmahlzeit verteilt worden war, beobachtete die Dienerschaft beim Laternenanzünden. Verdammt! Dieser Landgraf hatte das ewige Leben! Und er, Ortwin, durfte jetzt deswegen nach Akko übersetzen, um sich dort mit den Sarazenen herumzuschlagen. Es war zum Kotzen. Dort drüben, nur ein paar Schritte entfernt, lag Ludwig in seiner Koje, schwach und krank. Wer wusste schon, dachte Ortwin, ob sich in Outremer noch einmal die Gelegenheit ergäbe, so nah an ihn heranzukommen. Leichter als jetzt konnte es eigentlich nicht mehr werden.
    Ortwin sprang auf und ging unruhig an der Reling auf und ab. Ja, dachte er, ich muss es heute Nacht versuchen. Ich muss.
     
    Überall an Bord brannten erst noch kleine Talglämpchen, aber dann legten sich die Männer nach und nach zum Schlafen auf die Planken nieder. Ein Arzt sah noch einmal zum Landgrafen hinein und kam bald wieder heraus, eine Schüssel in der Hand. In den Kojen der hohen Herren regte sich bald auch nichts mehr, alles wurde still. Ortwin wartete noch, bis der Mond ein Stückchen am Himmel hochgestiegen war. Dann beschloss er, alles auf eine Karte zu setzen.
    Er stand auf, ging leise zur Tür der Landgrafenkoje und hob den Riegel. Langsam drückte er die Tür einen Spalt auf und spähte hinein. Drinnen brannten gleich fünf dicke Kerzen, zwei auf einem Tischchen neben der Bettstatt, drei andere steckten auf eisernen Wandhaltern. Es roch nach Kräutern und Essig. Ludwig lag halb aufrecht auf seinem Bett, dicke Kissen im Rücken und ein leichtes Laken über dem Leib. Er hatte die Augen geschlossen, seine Brust hob und senkte sich regelmäßig. Das Haar hing ihm wirr und strähnig ums Gesicht; seine Wangen waren eingefallen und hohl. Ortwin konnte hören, wie er im Schlaf leise etwas murmelte.
    Lautlos drückte er die Tür weiter auf und tappte auf Zehenspitzen zum Bett. Noch zögerte er. Konnte er es wagen? Würde man nicht Verdacht schöpfen? Er sah sich im Raum um, nach einer Decke oder etwas Ähnlichem. Doch da war nichts. Er würde einen anderen Weg finden müssen. Langsam streckte er die Hand aus und zog ganz vorsichtig eines der dicken Federkissen hinter dem Rücken des Landgrafen heraus.
     
    Ludwig träumte. Es war Frühling, und er ritt, seinen Falken auf der Faust, über die grünen Wiesen an der Unstrut. Ein laues Lüftchen wehte, und die Luft duftete nach frisch von Pflugscharen aufgebrochener Erde und den ersten Blüten. Neben ihm trabte Elisabeth auf ihrem grauen Lieblingszelter, sie lachte und rief ihm etwas zu. »Schwesterchen«, rief er zurück, »lass uns absteigen und im Gras sitzen.« Er band den Falken an den Sattelständer, und sie legten sich nebeneinander ins warme Grün. Sein Kopf ruhte an ihrer Schulter. Am Himmel standen lauter kleine, weiße Schäfchenwolken, die zur Neuenburg hin zogen. Er wurde angenehm schläfrig und entspannte sich. Etwas bewegte sich unter seinem Rücken. Er öffnete die Augen. Da war Elisabeths Gesicht. Sie beugte sich über ihn, ihr Gesicht kam dem seinen immer näher. Er lächelte, freute sich auf den Kuss. Aber – das war gar nicht Elisabeth. Ihre Züge verschwammen, und stattdessen war da ein fremdes Gesicht, riesig groß, mit dunklen Augen und einem verzerrten Mund. Ludwig fuhr hoch, wollte schreien. Doch dann drückte ihn eine unbändige Gewalt in die Kissen zurück. Etwas Weiches, Schwarzes legte sich über Augen, Mund und Nase. Er bekam keine Luft mehr. Seine Hände suchten verzweifelt nach Halt, seine Füße scharrten hilflos auf dem Strohsack. Ach, keine Kraft. Keine Kraft. Das Fieber. Und Jerusalem! Er wollte doch nach Jerusalem! So endet es also?, dachte er. Dann wurde alles dunkel.
     
    Ortwin hörte auf zu pressen. Der Landgraf bewegte sich nicht mehr. Es war so einfach gewesen, beinahe lächerlich einfach! Ludwig war ja so schwach, dass er sich kaum hatte wehren können, nicht mehr als ein Kind. Er hob das Kissen hoch: Das Gesicht des Toten war ganz entspannt, fast friedlich. Ein Auge war nicht richtig geschlossen; sanft drückte er es zu. Dann steckte er das Kissen wieder an seinen Platz zurück. Er richtete den Landgrafen schön

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