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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Heiden haben immer versucht, alles zurückzuerobern, oder?«
    »Ja, deshalb gab es danach auch mehrere Kreuzzüge. Viele berühmte christliche Fürsten und Könige nahmen mit Freuden das Kreuz. Man musste den bedrängten Kreuzfahrerstaaten ja zu Hilfe kommen. Aber es half nichts, sie wurden immer weiter geschwächt und zurückgedrängt. Und im Jahr des Herrn 1187 , also vor inzwischen vierzig Jahren, haben die Muselmanen unter ihrem mächtigen Sultan Saladin die Schlacht bei Hattin gewonnen. Jerusalem fiel wieder in die Hände der Heiden.«
    »Und wir werden es jetzt wieder befreien!«, rief ich.
    Raimund wurde ernst. »Möge es uns gelingen«, sagte er, »mit Gottes Hilfe. Ich bin mir da nicht so sicher. Wir haben starke Gegner, und es ist nicht leicht, einen Krieg in der Fremde zu gewinnen.«
     
    Hei, ich freue mich schon auf den Kampf. Denen werden wir es zeigen! Aber erst einmal heißt es warten. Warten, bis der Kaiser nachkommt. Wir richten uns also derweil in der Stadt Akko ein. Mein Herr Raimund und ich finden zusammen mit dem Ritter von Nebra und seinem Knappen ein gutes Quartier in der Nähe der Hospitaliter-Schanze. Es ist ein schönes, weißgetünchtes Haus, von dessem flachen Dach man über ein ganzes Häusermeer bis zum Hafen schauen kann, wo unsere Schiffe liegen. Das ist wunderschön. Ich schlafe im Stall bei Brun, damit ihn keiner klaut. Auf dem Stroh liegt sich’s gut, und mir gefällt’s.
     
    Weil der Krieg ohne den Kaiser noch nicht anfangen kann, haben etliche von den Kreuzrittern beschlossen, in der Zwischenzeit die besten Vorkehrungen zu treffen. Ein Teil von der Truppe zieht nach Caesarea, ein anderer nach Jaffa, um dort die Befestigungen zu verstärken. Ein dritter Teil hilft beim Bau einer neuen Festung, die Montfort heißen soll. Die Thüringer haben sich allerdings dazu entschlossen, in Akko zu bleiben. Irgendwie fühlen sich alle immer noch wie gelähmt durch den Tod des Landgrafen. Keiner will so recht die Führung übernehmen.
    Wochenlang schlagen wir einfach so die Zeit tot. Ich hab gar nichts dagegen, denn Akko ist für mich wie der Garten Eden. Es gibt so viele fremdartige Früchte, verlockend wie die Sünde. Und mannshohe grüne Stängel, die sind süß wie das Paradies, man nennt sie Zuckerrohr! In den Läden verkaufen sie Perlen, die in Muscheln auf dem Meeresgrund wachsen. Es duftet nach tausend Wohlgerüchen, Sandel, Ambra, Rosenöl, Moschus, dazu kommt noch der Weihrauch, den ich aus der Kirche kenne. Und dann die Stoffe: Damast, Seide, Musselin, Atlas und Samt, alles wird in großen Rollen auf dem Markt feilgeboten. Am besten gefallen mir aber die gekrümmten Dolche und die herrlichen Schwerter aus Damaszenerstahl mit ihrem schimmernden Wellenschliff. Die sind so scharf, dass sie ein Seidentuch in der Luft zerschneiden! Wenn ich dran denke, dass wir gegen solche Waffen kämpfen sollen, wird mir himmelangst.
     
    In den heißesten Stunden des Tages bleibe ich daheim. Ratz geht auf seinen Lieblingsplatz, die kühlste Ecke im Vorratskeller, und schnarcht dort vor sich hin. Vor unserem Haus ist ein kleiner Platz mit einem Brunnen. Daneben steht ein Feigenbaum, in dessen Schatten sich’s gut dösen lässt. Ich beobachte den Töpfer, der seine Werkstatt gegenüber hat. Er hat immer blutunterlaufene Augen und sieht grimmig aus, wenn er so mit den Füßen die Scheibe dreht und mit nassen Händen aus Lehm alle möglichen Gefäße zaubert. Irgendwann frage ich ihn mit Gesten, ob ich einen Batzen Lehm haben kann, und er wirft mir unter viel Gebrumm was zu. Ich forme daraus kleine Figürchen, Tiere, Männlein, alles, was mir so einfällt. Die stelle ich dann in die Sonne zum Trocknen.
    Ein paarmal am Tag kommt ein barfüßiges Mädchen aus der Töpferwerkstatt und holt Wasser vom Brunnen. Sie trägt einen langen, einfachen Kittel und einen Schleier, und sie hält immer sittsam den Kopf gesenkt und schaut mich nicht an. Manchmal habe ich das Gefühl, sie beobachtet mich vom Fenster aus.
    Als ich neulich wieder zu meinem Baum gehen will, sehe ich eine Gestalt, die sich über meine Figürchen beugt. Es ist das Mädchen. Sie trägt heute keinen Schleier. Ihr Haar ist schwarz wie Rabenflügel, es reicht ihr fast bis zu den Knien. Noch nie hab ich solches Haar gesehen! Ich gehe von hinten auf sie zu und sage »Salam!«, das ist hier der übliche Gruß. Sie zuckt zusammen und dreht sich zu mir um. Fast so groß wie ich ist sie, und vielleicht auch so alt wie ich. Und sie hat in ihrem dunklen

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