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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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neben Primus an die Reling. »Wo ist er eigentlich untergebracht?«
    »Na, in den Holzhütten auf dem Heck, gleich in der Nähe des Kaisers, die Koje mit dem hellen Sonnensegel davor. Wieso willst du das wissen?«
    »Och, nur so.« Ortwin spielte mit einem Stück Seil.
    »Du willst doch nichts klauen, oder?«
    »Blödsinn. Und wenn, dann nur von den anderen«, grinste Ortwin und schlenderte davon.
    Primus sah ihm mit gerunzelter Stirn nach.
     
    Einen Tag später, am zehnten September, erreichten sie Otranto. Raimund von Kaulberg stand mit den anderen Rittern am Ufer Spalier, als die kleine Kaiserin und ihr Gefolge das Schiff verließen. Sie reckten die Schwerter in die Höhe, ließen sie als Königin von Jerusalem hochleben und schworen, ihr die Schlüssel der Heiligen Stadt bald zu Füßen zu legen.
    Am Abend gingen die Edlen ein letztes Mal von Bord, um auf Einladung der Stadtoberen an einem kleinen Festmahl teilzunehmen. Ludwig war auch beim Feiern und aß mit gutem Appetit. Alle waren erleichtert, dass es jetzt endlich ins Heilige Land ging; das lange Warten hatte so manchen Ritter mürbe gemacht. Man riss Witze über die Muselmanen, erzählte sich Geschichten von Kämpfen und Abenteuern. Der Kaiser brachte nach dem Essen einen fröhlichen Trinkspruch auf den bevorstehenden Sieg über die Heiden aus, worauf Ludwig, wie alle anderen, seinen Pokal auf einen Zug leerte. »Wir alle brennen darauf, das Heilige Grab zu befreien«, rief er, und die Ritter brachen in Hochrufe auf den Kaiser aus.
    Doch auf dem Weg zurück zum Schiff taumelte er plötzlich. Raimund von Kaulberg war mit einem Schritt bei ihm und fasste ihn unter dem Arm. »Hierher«, rief er dem jungen Schlotheimer zu. Der eilte herbei und stützte seinen Herrn auf der anderen Seite. »Was ist Euch, Liebden?«, fragte er besorgt. Ludwig keuchte nur: »Bringt mich aufs Schiff.«
    Zwei Stunden später setzte das Fieber ein.
    »Holt mir den Arzt«, sagte er, »er soll mir von dem Aufguss bringen, der dem Kaiser so gut geholfen hat. Und kein Wort zu irgendjemandem. Ich will nicht, dass wir morgen um meinetwillen nicht auslaufen. Unterwegs ist genügend Zeit, um gesund zu werden.«
    Der Arzt kam, ließ Ludwig zur Ader und verabreichte ihm die verlangte Medizin. »Euer Schwächeanfall kürzlich war wohl doch ein erster Anflug der Seuche«, meinte er besorgt. »Ihr solltet wieder an Land, Herr.«
    »Auf keinen Fall«, widersprach Ludwig. »Ich werde dieses Fieber auch ein zweites Mal besiegen. Wir stechen in See.«
    Der Arzt ging kopfschüttelnd; danach schlief der Landgraf ein. Und am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang legten die Schiffe ab und glitten mit geblähten Segeln aus dem Hafen.
    Doch auf See verschlechterte sich Ludwigs Zustand innerhalb von kürzester Zeit. Das Schlimmste stand zu befürchten; Patriarch Gerold von Jerusalem und Jakob von Vitry, Bischof vom Heiligen Kreuz, erteilten ihm vorsorglich die Sterbesakramente.
     
    Ortwin, der alle Vorgänge um die Landgrafenkoje mit Argusaugen beobachtet hatte, jubilierte innerlich. War es jetzt endlich doch so weit! Er saß auf einer Seilrolle vor dem hintersten Mast, von wo aus er den Eingang des Landgrafenquartiers gut im Blickfeld hatte. Er sah Ärzte ein- und ausgehen, den Kaiser und schließlich die Geistlichen. Auch die Thüringer Edlen besuchten ihren kranken Herrn einer nach dem andern. Sie nehmen Abschied, dachte Ortwin, das ist gut. Er erkannte Raimund von Kaulberg, der am Nachmittag mit Tränen in den Augen wieder herauskam, kurz mit Primus sprach und dann unter Deck ging. Langsam schlenderte er zu Primus hinüber.
    »Der Landgraf stirbt, was?«
    Primus nickte bedrückt. »Sie sagen, das Fieber hat seinen Höhepunkt erreicht. Entweder es bricht jetzt, oder er ist heute Abend tot.«
    »Tja, früher oder später holt uns alle der Teufel.« Ortwin spuckte über die Reling. »Aber halt! Als Kreuzfahrer kommt unser lieber Landgraf ja geradewegs ins Paradies, da kann er sich immerhin freuen.«
    »Du bist widerlich«, sagte Primus. »Vor dem Tod sollten wir alle Ehrfurcht haben, auch du.«
    »Wenn du meinst.« Leise pfeifend ging Ortwin davon. Er überlegte, wo das Schiff nach Ludwigs Tod wohl als Erstes anlegen würde und wie er den jungen Schlotheimer am besten überzeugen konnte, von dort aus nach Hause zurückzukehren.
    Doch gegen Abend kam wider alles Erwarten die Nachricht von den Ärzten, Ludwig habe die Krisis überstanden und sei außer Lebensgefahr.
    Auf dem ganzen Schiff brandete Jubel auf.

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