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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Gesicht unglaublich helle Augen, die schimmern so grün wie das Meer. Noch bevor ich etwas sagen kann, lässt sie das Pferdchen fallen, das sie gerade in der Hand hatte, und nimmt Reißaus.
    Seitdem geht mir ihr Gesicht nicht aus dem Sinn. Wie sie wohl heißt? Am nächsten Tag warte ich, bis sie zum Wasserholen kommt, und dann laufe ich aus dem Haus, um ihr zu helfen. Ich nehme ihr den ledernen Eimer ab, lasse ihn hinunter und hole ihn wieder herauf. Sie nimmt ihn und nickt ihren Dank. »Wie heißt du?«, frage ich. Dann tippe ich mir auf die Brust und sage: »Primus.« Sie sieht mich einen Augenblick lang an, schüttelt den Kopf, nimmt den Eimer und geht eilig weg. Ich sehe, dass der Töpfer ihr eine Ohrfeige verpasst, als sie in die Werkstatt kommt. Mistkerl!
    Den ganzen Tag warte ich, dass sie wieder herauskommt, aber umsonst. Doch am nächsten Morgen geht sie wieder zum Brunnen, und ich winke ihr von meinem Baum aus zu.
    »Die Kleine gefällt dir, was?«, grinst mein Herr.
    Ich nicke. »Ich wüsste gern ihren Namen«, sage ich. »Aber sie verrät ihn mir nicht.«
    Herr Raimund lächelt. »Das glaube ich gern. Sie kann nämlich nicht sprechen.«
    »Oh!« Ich bin enttäuscht.
    »Sie heißt Miriam«, berichtet mein Herr weiter, »und ist das Mündel unseres Töpfers Ischkander dort drüben. Sie hat als Kind ihre ganze Familie verloren, beim letzten Kreuzzug. Die Waschfrau hat mir das erzählt«, ergänzt er auf meinen fragenden Blick hin. Natürlich, er kann sich mit den Leuten hier unterhalten. Er spricht ja Arabisch, weil er es zu Damietta gelernt hat.
    »Ist sie Christin?«
    »Ein Pullanenmädchen. Pullanen, so nennt man seit dem ersten Kreuzzug die Abkömmlinge aus Ehen von Kreuzfahrern mit getauften Musliminnen oder mit maronitischen Christinnen. Es soll ein paar Tausend von ihnen geben. Die Männer sind als tapfere Fußkämpfer bekannt.«
    Miriam. Das klingt irgendwie schön. Armes Ding, dass sie keine Eltern mehr hat und bei diesem griesgrämigen Töpfer leben muss. Und dass sie stumm ist. Sie ist das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen hab.
    Tags darauf geht sie mittags zum Wasserholen, genau zu der Zeit, als der Töpfer seinen Mittagsschlaf hält. Ich traue mich und gehe zu ihr hin. »Miriam«, sage ich und bringe ein schiefes Lächeln zustande. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Ihre Augen leuchten hellgrün, und sie lächelt zurück.
    Ab da setzt sie sich immer während des Mittagsschlafs des Alten ein Weilchen zu mir und schaut zu, wie ich meine Tierchen aus Ton forme. Natürlich redet sie nicht, aber ich dafür umso mehr. Ich erzähle ihr von daheim, von Mutter und Ida, vom Irmel und vom Hannolein. Und dass es so schlimm war, wie der Michel gestorben ist, und dass ich wegen ihm auf Kreuzfahrt bin. Es ist schön, mit ihr zu sprechen. Ich hab das Gefühl, sie versteht mich, was natürlich Unsinn ist. Schließlich kann sie kein Deutsch.
    Nachts träume ich von ihr. Verbotene Sachen. Und dann, wenn ich aufwache, ist meine Bruoche nass. Das kenn ich schon, aber noch nie hab ich dabei an ein bestimmtes Mädchen gedacht. Solche Sehnsucht spür ich nach ihr, dass es beinahe weh tut.
    Und heute kommt sie zu mir unter den Baum, und sie hält mir etwas hin. Etwas Blaues, Glänzendes. Ich erkenne es erst beim zweiten Hinsehen: Sie hat ein kleines Schäfchen, das ich geformt habe, heimlich mitgenommen und im Töpferofen glasiert. Es sieht wunderschön aus. Ich nehme es vorsichtig und drehe es nach allen Seiten. »Danke«, sage ich, »du Liebe, Gute.« Soll ich mich trauen? Ich strecke langsam die Hand aus und streiche ihr über die Wange. Sie legt ihre Finger sanft auf meine.
    Dann dreht sie sich um und läuft weg.
    Allmächtiger. Sie hat mich gern, oder? Ich bin ganz durcheinander. Und in meinem Magen kribbelt es wie tausend kleine Käfer.

Wartburg, Dezember 1227
    M eister Konrad kam nicht. Entweder hatte ihn der Bote nicht gefunden, oder er war unabkömmlich. Nicht einmal ein Brief erreichte die Wartburg, und auch keine mündliche Botschaft. Die Wochen vergingen, und Elisabeths Lage wurde immer schwieriger. Der Hofadel feindete sie ganz offen an. Die Fronfuhren aus ihren Eigengütern blieben aus; Heinrich Raspe hatte sie entweder verboten oder er ließ sie einfach abfangen und den allgemeinen Küchenvorräten beifügen. Der Tag kam, an dem Elisabeth das Speisegebot nicht mehr einhalten konnte. Sie fühlte sich in die Enge getrieben wie ein Tier. Wie sollte sie sich wehren? Sie hatte kein Druckmittel, um ihren

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