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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Sie wimmerte nicht mehr. Ein Füßchen war abgefressen, Fleisch hing in Fetzen bis zum Knöchel. Neben der Wiege war Blut. Mechtels Schreie gingen in haltloses Schluchzen über.
    Eberolf nahm wortlos die Axt vom Nagel neben der Tür und ging hinaus.
     
    Das Mädchen, das noch keinen Namen hatte, lebte noch einen Tag. Sie begruben es neben dem Friedhofsmäuerchen; für eine Taufe war während der Ernte keine Zeit gewesen, und ohne das Sakrament ließ der Pfarrer niemanden in geweihte Erde. Primus verstand lange nicht, warum die Kleine auf einmal nicht mehr da war, auch nicht, warum sein Vater die kostbare Sau erschlug und sie dann nicht einmal essen wollte. Aber er lernte in diesem Jahr, was Hunger bedeutete. Und später, im Heiligen Land, würde er sich daran erinnern, dass seine erste Schwester im selben Jahr gestorben war, als der Kaiser Friedrich den Kreuzzug gegen die Feinde der Christenheit gelobt hatte. 1215 .
     
    Im Getreidekasten von Eisenach, den anderen Städten, Burgen und Fronhöfen Thüringens stapelten sich derweil die Abgaben. Der Landgraf war bei der Rechnungslegung zufrieden, hatte er doch wegen der ungünstigen Witterung mit mehr Ausfällen gerechnet. Er hatte schon an Einschränkungen gedacht, zum Beispiel aus Hessen weniger oder billigeren Wein zu kaufen oder statt des teuren Rindfleisches mehr Hammel auf den Speiseplan setzen zu lassen. Unangenehm wäre das gewesen und hätte seinem Ansehen beim Adel geschadet. Jetzt würde es womöglich genügen, wenn er mit der Hofhaltung ein paar Wochen im Kloster Reinhardsbrunn unterschlüpfte – die Klöster waren ja gottlob zum Unterhalt des Landesherrn verpflichtet, solange er sich mit seinem Gefolge dort einquartierte. Ansonsten sah es so aus, als könne er nun doch wie geplant das angenehme Hofleben fortsetzen. Ah, er könnte den Neithart vom Reuental über den Winter einladen, von dessen Dichtkunst redete ja alle Welt, und vielleicht den jungen Burkart von Hohenfels dazu. Das würde eine kurzweilige Zeit geben, mit Liedern und Geschichten. Und die Sache mit dem Kreuzzug – nun, das musste man nicht allzu ernst nehmen. Er, Hermann, hatte jedenfalls keine Lust, ein zweites Mal für eine Sache in den Krieg zu ziehen, die ohnehin nicht die seine war. Der Papst war ein Niemand, seine Bischöfe und Kardinäle verlorene Seelen. Nur die Reinen würden ewig sein. Was wollte dieser Mensch im fernen Rom, mitsamt seinem Pack an kostümierten Schranzen und Würdenträgern? Sie waren des Teufels, alle, genauso wie der Erzbischof von Mainz, dieser Hundsfott, der es gewagt hatte, über ihn, den Landgrafen von Thüringen, den Kirchenbann zu verhängen! Weißglühende Wut stieg in Hermann auf, machte ihn blind, ließ ihn am ganzen Körper zittern. Der Landgraf schwankte und presste die Fäuste gegen die Schläfen. Irgendetwas war mit seinem Kopf. In seinem Kopf. Hockte da ein Dämon? Ein böser Geist, der ihm wie mit einer Schraubzwinge das Hirn zusammenpresste? Der da drinnen tobte und heulte und wütete? Hermann stöhnte auf. Wollte ihn Gott vernichten oder der Satan?

Gisa
    D er Wocken mit den Flachsfasern flog gegen die Wand, und die Spindel hinterher. Guda und ich sahen auf und seufzten, Agnes schnoberte verächtlich durch die Nase. Inzwischen kannten wir Elisabeths Wutausbrüche nur zu gut. Die kleinste Kleinigkeit brachte sie zum Heulen, ließ sie aus der Haut fahren. Meistens lief sie dann weinend weg, aber manchmal gewann auch ihre wilde ungarische Natur die Oberhand, und sie stampfte mit den Füßen auf, warf etwas hin oder schrie herum. So wie jetzt.
    »Du hast einfach zwei linke Hände«, pflegte die Landgräfin zu ihr zu sagen, und sie nickte dann schuldbewusst. Beim Wollespinnen machte sich ihre mangelnde Fingerfertigkeit weniger bemerkbar, es ist ja auch viel einfacher. Wir lernten es schon sehr früh, wie alle Mädchen, obwohl es nicht zu den Pflichten einer adeligen Frau gehört. Wolle spannen die armen Weiber – wir hingegen brauchten es lediglich als Vorübung zum Flachsspinnen. Wolle ist ja viel geschmeidiger und leichter zu verarbeiten, und wer mit Wolle nicht zurechtkommt, der braucht sich an die harten Flachsfasern gar nicht erst heranzuwagen. Elisabeth brachte schon beim Wollespinnen kaum einen glatten Faden zustande, im Gegensatz zu Agnes, die eine echte Begabung für alle Handarbeiten hatte. Und wenn es an den Flachs ging, dann war Hopfen und Malz verloren. Ständig riss ihr der Faden, obwohl wir die Faserbündel immer gut wässerten. Es

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