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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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war schon nicht so einfach, die klammen, knapp ellenlangen Strähnen aus dem Wocken zu zupfen und ins Garn hineinzudrehen. Man musste mit nassen Fingern arbeiten, sonst ging es gar nicht. Und man musste ein Gefühl für die Dicke der Faser bekommen, sonst riss sie eben und man musste wieder neu anspinnen. Schon wir anderen Mädchen hatten wenig Spaß dabei, und für Elisabeth bedeutete es eine wirkliche Quälerei.
    Aber das Flachsspinnen war es nicht allein. Es gab eigentlich gar nichts, was Elisabeth wirklich gut konnte. Beim Singen traf sie keinen Ton, oft brachte sie mich und Guda heraus, wenn sie bei der Messe zwischen uns mitbrummte. Als wir unser erstes Instrument lernten, die Flöte, trieb sie Herrn Walther, der es uns beibrachte, zur schieren Verzweiflung. Ihre Finger taten einfach nicht das, was sie sollten, legten sich nur halb übers Loch oder über das falsche. Als wir anderen dann an die Laute durften, legte Herr Walther bei der Landgräfin ein gutes Wort für Elisabeth ein, damit sie sich nicht weiterquälen musste. Ähnlich war es auch beim Lesen und Schreiben. Das Lesen ging noch ganz gut, wenn auch mühsam, aber das Schreiben – wenn ich vorhin sagte, Elisabeth habe zwei linke Hände gehabt, muss ich vielleicht noch hinzufügen: Beim Schreiben hatte sie auch noch an jeder Hand fünf Daumen. Sie patzte bei jedem Buchstaben, hatte kein Gefühl dafür, wie schwer sie aufdrücken musste, spaltete dauernd die Federspitze. Agnes sagte immer, sie sei einfach dumm, aber das war es nicht. Vielmehr hatte sie einfach kein Feingefühl in all ihren Bewegungen. Auch später, wenn sie Kranke pflegte, tat sie es oft linkisch und unbeholfen. Aber da bekam sie schon keine Wutanfälle mehr über ihr Ungeschick, da war sie schon glücklich in ihrer Demut und Selbstverleugnung.
    Nein, dumm war Elisabeth nicht, auch wenn Agnes sie immer abschätzig so bezeichnete. Sie war nur anders. Alles, was wir Mädchen gerne taten, war für sie nicht wichtig. Während wir uns stundenlang die Haare kämmen, zu immer wieder neuen Haartrachten flechten und stecken konnten, mit Bändern, Nadeln und Netzen, stopfte sie ihre widerspenstigen, krisseligen Locken einfach nur unter ein Kopftuch, damit sie nicht im Wege waren. Einmal, ich weiß es noch wie heute, hatte Agnes ein Paar Prunkärmel aus der Kleiderkammer ihrer Mutter stibitzt. Abwechselnd nestelten wir sie an unsere Gewänder und bewunderten uns gegenseitig. Als wir dasselbe auch mit Elisabeth tun wollten, wurde sie richtig wütend. »Schlecht seid ihr«, rief sie mit rotfleckigen Backen, »eitel und putzsüchtig. Ihr schaut immer bloß auf Kleider und Schmuck. Aber wenn einer außen schön ist, heißt das noch lange nicht, dass er innen auch ein guter Mensch ist.«
    Agnes streckte ihr die Zunge heraus. »Bist ja bloß neidisch«, gab sie spitz zurück, »weil du so schwarz und hässlich bist. Dir kann man die schönsten Ärmel der Welt anknüpfen, das macht dich auch nicht hübscher. Mein armer Bruder, der dich mal heiraten muss! Der kann einem leidtun.«
    »Wenn Elisabeth erst deinen Bruder geheiratet hat, kannst du einem leidtun! Dann ist sie nämlich Landgräfin, und du bist nichts!« Ich stellte mich an Elisabeths Seite. Wenn sie sich nicht gegen Agnes wehrte, würde ich es eben tun.
    Agnes lief rot an. »Halt du den Mund, dumme Gans. Du lebst ja bloß aus Gnaden hier am Hof. Ich muss nur mit meiner Mutter reden, dann schickt sie dich weg!«
    Elisabeth ging zwischen uns. »Hört auf zu streiten«, rief sie und schüttelte heftig den Kopf. »Ich will nicht, dass meinetwegen Zwietracht herrscht.«
    »Dann lass uns doch in Ruhe und verdirb uns nicht immer den Spaß.« Agnes drehte sich um und rauschte zur Tür hinaus.
    Ich war den Tränen nahe. Es stimmte ja, man konnte mich jederzeit fortschicken, ins Kloster oder anderswohin. Elisabeth nahm mich in den Arm. »Nicht weinen«, sagte sie.
    »Warum wehrst du dich nicht gegen Agnes?«, fragte ich und schniefte.
    »Weil ich nicht bin wie sie.« Elisabeth lächelte. »Es ist mir nicht wichtig.«
     
    Nach dem Mittagsmahl bei der Landgräfin hatte ich wenig Lust, in die Mädchenkammer zurückzukehren. Ich wollte Agnes aus dem Weg gehen, also lief ich erst einmal über den Hof zum Marstall, um nach den Pferden zu schauen. Wir bekamen seit einem Jahr Reitunterricht und hatten dafür einen kleinen hübschen Zelter mit besonders weichem Passgang, den liebte ich. Nachdem ich ihm einen schrumpeligen Apfel gefüttert hatte, machte ich mich

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