Die Tore des Himmels
vermutlich sein Vater. Jetzt war nirgendwo ein Stück Vieh zu sehen, also hatte sich der Hof davon noch nicht erholt.
Nun kam das Weib des Bauern in den Hof gelaufen, einen kleinen dunkelhaarigen Buben auf der Hüfte. Blutjung, dachte der Kastner, und mit so prallen Brüsten, dass drinnen im Haus bestimmt ein Säugling lag. Die Frau stand stumm und reglos da, während die Männer Sack um Sack auf den großen Karren luden. Gott sei Dank. Es gab nichts, was der Kastner mehr hasste als das Geheule der Weiber. Ganz hübsch war die Kleine, nicht verwachsen, das lange braune Haar zum Zopf gebunden und ein bisschen unordentlich um den Kopf gedreht. Nur das große Muttermal auf der Wange störte. Sie mochte grad mal so alt sein wie seine Tochter, dachte er, heiliger Strohsack, und schon zwei Kinder. Gott verteilte seine Gunst nicht immer gerecht.
Ein Schrei riss Richwin den Kastner aus seinen Gedanken. In der Scheuer gab es offenbar ein Handgemenge. Herr im Himmel, warum begriffen diese schafsköpfigen Bauern einfach nicht, dass sie immer den Kürzeren ziehen würden?
Mechtel und der Kastner kamen gleichzeitig bei der Scheune an. Sie warf sich zwischen ihren Mann und den Waffenknecht, der ihm gerade eine blutige Nase verpasst hatte. Glück gehabt, dachte der Kastner, er hätte auch zum Schwert greifen können.
Eberolf kauerte im Stroh und heulte; Blut troff von seinem Gesicht auf Mechtels Kleider. »Sie dürfen das Schmalz nicht nehmen«, beharrte er trotzig, »es ist kein Ertrag, ich hab’s gekauft! Sag’s ihnen!«
Mechtel blickte zum Kastner hoch. Sie wagte nicht, den Mund aufzumachen, aber sie nickte.
Richwin gab seinen Männern ein Zeichen. »Genug. Wir sind hier fertig.« Auf seinem Kerbholz schnitzte er mit eingeklemmter Zungenspitze die Anzahl der Getreidesäcke und der Scheffel Hülsenfrüchte ein, dann wandte er sich an Eberolf. »Du hast Glück, Freundchen. Ich werde heute noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und nicht in meinem Register vermerken, dass du dich geweigert hast, die Abgaben in vollem Umfang zu leisten. Das nächste Mal will ich keinen Ärger mehr, hörst du, sonst schleif ich dich vor den Richter, und du kriegst die Hucke voll Hiebe mit der Dreischwänzigen. Der Landgraf lässt nämlich nicht mit sich spaßen. Hast du mich verstanden, du Eselsgosche?«
Eberolf nickte und hielt sich die gebrochene Nase. Immer noch auf Knien sah er durch das geöffnete Scheunentor zu, wie der kleine Trupp den Hof verließ, auf dem Karren mehr als die Hälfte seiner hart erarbeiteten Ernte. Wut und Hoffnungslosigkeit spiegelten sich in seinen Augen.
Niemand hatte in dem Durcheinander bemerkt, dass sich durch einen Stoß während des Raufhändels der Riegel des Schweinekobels gelockert hatte. Das Türchen war aufgesprungen, und die Sau hatte erst neugierig ihren Rüssel durch den Spalt geschoben, dann mit leisem Quieken und einem Rucken ihres borstigen Kopfes den Verschlag ganz aufgedrückt. Ohne Beachtung zu finden, war sie seelenruhig und mit schlappenden Ohren aus der Scheune getrabt.
Mechtel half ihrem Brotherrn hoch, der sie zum Dank für ihre Hilfe grob wegstieß und laut zu fluchen begann. Während er zum Wasserbottich ging, um sich die Nase zu kühlen, zupfte sie sich niedergeschlagen ein paar Strohhalme vom Rock. Jesus, wie sollten sie nun über den Winter kommen? Freilich, sie hatten immer gewusst, dass der Landgraf seine Abgaben ohne Rücksicht eintreiben ließ, aber irgendwo war da doch die Hoffnung gewesen, die Obrigkeit würde ein Einsehen haben und Milde walten lassen. Umsonst. Und da war jetzt auch noch die Kleine. Mechtel fasste sich unwillkürlich an die Brust. Würde ihr genug Milch zum Stillen bleiben, wenn der Hunger kam? Ach Gott. Suchend schaute sie sich nach Primus um, der in der ganzen Aufregung weggelaufen war. Sie fand ihn, wie er hinter dem Hasenstall heulend im Dreck saß, und wollte ihn gerade hochheben, als sie plötzlich ein leises Wimmern hörte. Es kam vom Haus. Himmel, die Kleine. Sie war gerade dabei gewesen, das Würmchen zu wickeln und aufzubinden, als die Männer gekommen waren. Da hatte sie es einfach in die Wiege gelegt …
Sie ahnte das Unheil, rannte und schrie, rannte und schrie. In der Stube war die Sau. Das Blut pochte in Mechtels Kopf, sie griff sich den Besen und scheuchte das widerspenstige Tier hinaus, immer noch schreiend. Eberolf stürzte herein, hinter ihm kam Primus gewatschelt und greinte gottserbärmlich. Da hatte sie die Kleine schon im Arm.
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