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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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auf den Weg zu den Fürstengemächern, hinter denen die Kapelle lag. Ich hoffte, Ludwig und Konrad zu treffen, aber noch mehr wünschte ich mir, meinem Ritter zu begegnen, dem edlen Raimund von Kaulberg.
    Die Jungen waren nicht da, aber vor ihrer Studierstube saß Herr Heinrich von Morungen in einer Fensternische und schlug die Harfe. Ich mochte den alten Herrn gern, er war oft bei uns zu Gast und hatte eine besonders helle Stimme, die gut zu fröhlichen Melodien passte. Inzwischen war sie ein wenig brüchig geworden, aber er ließ sich trotzdem nie zweimal um ein Lied bitten. Ich lief zu ihm hin und setzte mich ihm gegenüber auf die Bank.
    »Bitte, Herr Heinrich, singt Ihr mir was vor?«
    Sein Gesicht legte sich in tausend kleine Fältchen, als er mir zulächelte. Er zupfte ein paar Akkorde an und begann:
    »Ich hört auf der Heide
    eine Stimm und süßen Klang,
    davon ward ich beide
    freudenreich und trauerkrank …«
    Eine andere Stimme fiel ein, jung und kräftig. Freudig blickte ich aus dem Fenster; es war mein Ritter Raimund, der drunten im Hof mitsang und zu uns heraufwinkte. Das dunkle Haar fiel ihm verwegen in die Stirn, er sah so schön aus! Seit ich denken kann, bin ich in ihn verliebt gewesen, wie ein kleines Mädchen eben in einen erwachsenen Mann verliebt sein kann. Tagsüber dachte ich an ihn, nachts spukte er in meinen Träumen herum. Ach, wie seine Augen blitzten, wenn er vom Turnieranger kam! Wie er lachte, wie wunderbar er sang, mit seiner tiefen, dunklen Stimme. Ich malte mir aus, wie er mich als wunderschöne Braut zum Altar führte. Ich dachte mir Geschichten aus, in denen er mich vor feindlichen Rittern rettete oder vor Drachen und wilden Tieren. Oh, es gab keinen edleren Ritter, keinen schöneren Mann am ganzen Hof. Und er hatte versprochen, mich zu heiraten! Ich hatte dieses Versprechen mit heiligem Ernst in meinem Herzen eingeschlossen, hegte und pflegte es, dachte immerfort daran. Ich konnte es nicht erwarten, bis ich alt genug war, eine Dame. Dann würde er mich auch lieben! Ja, Agnes, die hatte schon kleine Brüste und einen üppigen Hintern, Guda auch. Sogar Elisabeth, die anderthalb Jahre jünger war als ich, bekam schon andeutungsweise weibliche Rundungen. Nur ich sah noch viel zu kindlich aus. Im letzten Jahr hatte Els, die Hühnermagd, einmal erzählt, wenn eine Frau schöne Brüste haben wolle, müsse sie eine halbe Wachteleierschale voll Hühnerdreck machen, hineinspucken und das Ganze dann bei Vollmond in einen Haselbusch hängen. Am nächsten Morgen müsse sie dann den Hühnerdreck in Wein auflösen und alles trinken. Wenn sie dann auch noch einen Tag und eine Nacht lang die Fischblase eines frisch geschlachteten Hechts auf die Brust gewickelt trüge, würde sie einen Busen bekommen, der alle Männer in Entzücken versetzte. Ich hatte neun geschlagene Tage gebraucht, um alles zusammenzuhaben, und dann hatte ich auf Vollmond gewartet. Der Wein mit dem Hühnermist hatte abscheulich geschmeckt, und das Fischding hatte eklig auf meiner Haut geklebt und angefangen zu stinken. Aber – es hatte geholfen! Meine Brüste fingen an zu wachsen, und ich war an den richtigen Stellen üppiger geworden.
    Und jetzt stand ich da am Fenster und sah auf meinen Ritter hinunter – da plötzlich durchzuckte mich ein Gefühl, das mit kindlicher Verliebtheit nichts mehr zu tun hatte. Es durchströmte mich warm und köstlich, um sich am Ende an einem Ort zwischen meinen Beinen festzusetzen, der geheim war und verboten. Ich wollte nicht mehr von Raimund aus Gefahr gerettet werden. Ich wollte auch nicht, dass er für mich beim Turnier gewann. Ich wollte nur noch, dass er mich ansah mit diesen Augen, dass er mich berührte mit diesen Händen, dass er mich küsste und begehrte. Ich war kein Kind mehr. Ich war eine Frau und liebte einen Mann. Etwas Neues, etwas Wunderbares hatte begonnen.
     
    Mit klopfendem Herzen und verwirrt von dem, was ich eben empfunden hatte, lief ich hinunter in den Hof. Es zog mich einfach zu ihm, ich wollte ganz in seine Nähe, doch als ich unter dem Fenster ankam, war Raimund fort. Wo konnte er hin sein? Ah, dort hinten bei der rundbogigen kleinen Tür hatte ich eine Bewegung gesehen. Vielleicht war er da hinein in den Westflügel gegangen.
    In diesem Teil der Burg war ich noch nie gewesen. Er schien unbewohnt; dem Behau der Steine und der Form der Fenster nach zu urteilen mochte er einmal zum ursprünglichen Kern der alten Wehranlage gehört haben. Der Vorraum war leer bis

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