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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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aber die Einzige, der er sein Wort gegeben hatte, war noch ein Kind. Gisa. Sie war ihm irgendwann einmal nachgelaufen bis zur Turnierwiese. Und weil sie aus Erzählungen wusste, wie es beim Tjost zuging, hatte sie ihren kleinen Ärmel abgenestelt und um den Griff seiner stumpfen Übungslanze geschlungen. »Liebfräulein tun mir große Ehre an«, hatte Raimund gescherzt. Und dann hatte er auf ihre Frage: »Heiratest du mich, wenn ich groß bin, mein Ritter?« mit unterdrücktem Lachen geantwortet: »Ei, wenn Ihr mich dann noch wollt, hübsche Jungfer …«
    »Ehrenwort?«
    Er hatte ihr zugezwinkert und dabei die Hand aufs Herz gelegt. »Bei meinem Leben.«

Farnroda, August 1215
    D er kleine Bauernhof sah sauber und ordentlich aus, fanden der Kastner und seine Gehilfen, als sie durch das einfache Weidentor ritten. Die Umzäunung aus Weidenruten, die Wildschweine und andere Tiere davon abhalten sollte, in Hofreit und Gemüsegarten einzufallen, war schlecht und recht geflickt, und das Dach hätte längst einmal eine neue Strohdeckung gebraucht, aber sonst schien alles in Ordnung zu sein. Nun ja, dachte der Kastner, der für das Eintreiben und Verwahren der herrschaftlichen Steuern, Zinsen und Gülten verantwortlich war, die schlechte Ernte wird sich erst im nächsten Jahr bemerkbar machen. Denn schlecht war sie gewesen, heuer, weil der Frost ausgerechnet im späten Mai noch einmal eingesetzt hatte, und dann war auch noch nach der Schafskälte der große Hagel gekommen und hatte ein Gutteil des Getreides zerschlagen. Nichtsdestotrotz war es die Pflicht des Kastners, jedem einzelnen Bauern, ob frei, grundhold oder leibeigen, am Ende des Sommers abzunehmen, was der Obrigkeit gebührte. Keine angenehme Arbeit, die Eintreiberei, bei Gott. In guten Jahren war es leichter, aber diesmal ging es auf kaum einem Hof ohne Heulen und Zähneklappern ab. Die Bauern kämpften um jeden Scheffel Korn, nun ja, das war zwar lästig, aber verständlich. Dieser hier hieß Eberolf, so las der Kastner in seinem Steuerregister, und bewirtschaftete eine Hufe von fünf Tagwerk. Ein ganz kleiner Hintersasse also, und den letztjährigen Eintragungen nach zu urteilen einer, der von der Hand in den Mund lebte. Immerhin gehörte er zu den Grundholden, war also um etliches bessergestellt als ein Höriger.
    »Heda, wer daheim?«, brüllte der berittene Waffenknecht, der zur Sicherheit immer dabei sein musste.
    Eberolf bog um die Ecke des Häuschens, ein halbfertiges Hanfseil in der Hand.
    »Macht die Scheuer auf, guter Mann, auf dass die Obrigkeit sich ihren Teil der Ernte nehmen kann«, sagte der Kastner. Angewidert registrierte er, dass der Bauer den Hosenlatz offen hatte und ganz erbärmlich nach Schweinepisse stank.
    »Bei allen Heiligen«, lamentierte Eberolf und ließ das Seil fallen, »Herr Richwin, Ihr wisst doch, dass uns das Korn verhagelt ist. Was wollt Ihr denn noch holen?«
    Der Kastner ließ sich auf nichts ein. »Öffne die Scheuer, Mann. Du bist dem Grundherrn sechs von zehn Teilen von allem schuldig, was deine Hufe abwirft, dazu jährlich ein Fastnachtshuhn und den Kraut- und Rübenzehnt, so steht es geschrieben.«
    Eberolf öffnete mit hängendem Kopf das Tor der kleinen Scheune. Drinnen lagerten die Säcke mit dem kostbaren Getreide, viele waren es nicht. Außerdem die Rüben, die Krautsköpfe, Erbsen, Bohnen, Linsen, all das, was der Acker halt hergab. In einer abgeteilten Ecke grunzte aufgeregt die ewig hungrige Sau, einziger Reichtum des kleinen Hofs.
    Der Kastner zählte. »Achtundzwanzig Säcke«, bemerkte er resigniert. Das war weiß Gott nicht viel. Trotzdem befahl er seinen Gehilfen anzufangen.
    »Das könnt Ihr nicht tun«, protestierte Eberolf mit dem Mut der Verzweiflung. »Ihr wisst doch, der Roggen bringt in guten Jahren nicht mehr als das vierte Korn. Heuer war es grad das zweite. Wenn Ihr uns jetzt die Hälfte nehmt, haben wir kein Saatgetreide mehr. Oder wir hungern.«
    »Dann esst Buchweizen.« Richwin, der Kastner, wusste schon, dass es hart war. Die Dreifelderwirtschaft mit Wintergetreide, Sommergetreide und Brache reichte den kleinen Bauern gerade zum Überleben, und das in guten Zeiten. Aber der Mensch hielt so einiges aus, und in schlechten Jahren starben eben die Schwächsten. Das war schon immer so gewesen. Hier im Salbuch stand auch verzeichnet, dass der Eberolf von Farnroda erst vor zwei Jahren das Besthaupt hatte entrichten müssen, die Abgabe, die fällig wurde, wenn der Vorpächter des Hofes starb,

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