Die Tore des Himmels
Ankunft zu überbringen. Er hatte sich nicht um diese Aufgabe gerissen, aber einer musste es schließlich tun, und man hatte ihn gewählt, weil Elisabeth ihn immer gemocht hatte. Jetzt trieb er seinen Hengst den steinigen Steig zur Burg hoch, gefolgt von Primus auf seiner dicken Stute und Miriam auf einem gutmütigen, kleinen Fuchswallach, den sie zu Otranto für sie gekauft hatten.
Der Torwart ließ sie ein, sobald er das weiße Kreuz auf Raimunds Umhang erkannt hatte. Noch im Hof empfing sie Heiner von Pottenstein, der bärbeißige alte Burgvogt, mit einer höflichen Verbeugung. Die Landgrafenwitwe bewohne zusammen mit ihren Zofen eine Kemenate im Turm, erklärte er. Nur auf Befehl des Bischofs könne er Besucher vorlassen.
Raimund überreichte ihm ein gesiegeltes Schreiben, das sich der Vogt von seinem Kaplan vorlesen ließ. Danach atmete der Pottensteiner sichtlich auf. »Ah, Ihr nehmt sie wieder mit nach Bamberg, eine gute Nachricht«, meinte er. »Dies hier ist schließlich eine Amtsburg, keine Verwahrstätte für störrische Verwandte. Und erst recht kein Kloster! Lieber Himmel, die ständige Beterei, und Weiber machen immer so viele Umstände! Nur zu, Herr Raimund, Ihr findet Frau Elisabeth in der Kapelle dort drüben.« Er deutete auf ein winziges Kirchlein in der Südostecke des Hofs.
Raimund schickte Primus mit den Pferden zur Zisterne und sah hinüber zur Kapelle. Von weitem beobachtete er, wie sich die kleine Spitzpforte öffnete und eine Frau mit einem Bündel in der Hand heraustrat. Sie trug ein blaues Kopftuch und ein einfaches hellgrünes Kleid, das sich im warmen Maiwind blähte. Ohne aufzuschauen lenkte sie ihre Schritte zum Turm. Noch konnte Raimund ihr Gesicht nicht erkennen – aber dann fiel sie ihm auf, diese winzige, kaum wahrnehmbare Unregelmäßigkeit beim Gehen, den kleinen, ausgleichenden Schwung der Hüfte, und er wusste, wen er vor sich hatte. Sein Herz tat einen kleinen Sprung. Ausgerechnet sie war es, sie traf er als Erste!
»Gisa!«, rief er, und dann noch einmal, lauter: »Gisa!«
Sie blieb stehen und wandte sich ihm zu. Er sah, wie sie zögerte. Dann hob sie die Hand über die Augen, um genauer hinzuschauen. War er es wirklich? Konnte es wahr sein? Ihre Augen weiteten sich. Sie machte ein paar Schritte, nur um erneut ungläubig blinzelnd stehen zu bleiben. Und dann, mit einem kleinen Freudenschrei, warf sie ihr Bündel weg und rannte ihm entgegen. Lachend fing er sie in seinen Armen auf, ihr Kopftuch rutschte nach hinten und gab eine Woge hellblonder Haare frei. »Lieber Gott, seid Ihr’s wirklich?«, rief Gisa. »Ach, ich bin so froh, so froh! Euch schickt der Himmel!«
Raimund schnürte es die Kehle zusammen vor lauter Glück! Das Gefühl, sie in den Armen zu halten, erfüllte ihn mit einer Seligkeit, die er vergessen geglaubt hatte. Er genoss es, sie zu spüren, den Duft ihres Haars zu riechen. »Gisa, meine Kleine!«, flüsterte er rau. Einen kurzen Augenblick kostete er die Berührung noch aus, dann erschrak er, wie mager sie sich unter dem Kleid anfühlte. Er hielt sie ein Stück von sich weg. »Du lieber Gott, dünn seid Ihr geworden!«
Sie sah ihn mit gespielter Entrüstung an. »Ist das alles, was Euch bei unserem Wiedersehen nach so langer Zeit einfällt, Herr Ritter?«
Er grinste verlegen und versuchte vergeblich, sich dem Zauber ihres Blicks zu entziehen. »Verzeiht, Gisa. Natürlich wollte ich sagen, dass Ihr noch schöner geworden seid, als ich Euch in Erinnerung hatte.« Das meinte er wirklich. Ihr schlanker Körper hatte endgültig alles Kindliche verloren, das dichte Haar fiel ihr wie schimmernde Seide über die Schultern, ihre Lippen glänzten rot und lockend. »Und ich bin froh und glücklich, Euch wiederzusehen«, fügte er hinzu.
Sie nahm seine Hände. »Ich danke Gott, dass Ihr wohlbehalten wieder da seid. Ei du lieber Gott, und da ist ja Primus!«
Mit einem kleinen Juchzer fiel sie dem schlaksigen Jungen um den Hals, der sie inzwischen um mehr als Haupteslänge überragte. Primus lief rot an, dann schob er verlegen Miriam nach vorn. »Jungfer Gisa – das ist Miriam aus Akko. Vater Berthold hat uns in Italien zusammengegeben.«
Gisa umarmte auch Miriam. »Ach, ist das ein Glück, ich kann’s kaum fassen! Kommt schnell, wir müssen gleich zu den anderen! Wie werden sie sich freuen!«
Sie zog die drei energisch zur Kapelle und öffnete das Pförtchen. »Elisabeth, Guda, Isa – ihr glaubt nicht, wer da ist!«
Später saßen sie vertraut in
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