Die Tore des Himmels
stand auf. »Nun, denke darüber nach. Ich werde dich bei meinem nächsten Besuch noch einmal fragen.«
Elisabeth erhob sich ebenfalls. »Das brauchst du nicht, Onkel«, sagte sie ganz ruhig. »Mein Glaube an Gott, der mein Gelübde über die Enthaltsamkeit kennt, ist so fest, dass ich es im Vertrauen auf seine Barmherzigkeit für unmöglich halte, dass er nicht meine Keuschheit gegen alle menschliche Absicht und Gewalt bewahren würde. Selbst wenn Ihr mich gegen meinen Willen jemandem übergeben würdet, würde ich mit aller Kraft widerstehen. Und wenn ich keinen anderen Ausweg hätte, würde ich mir die Nase abschneiden, dann wollte mich keiner mehr haben.« Ihre Augen blitzten, während sie so dastand und ihrem Onkel die Stirn bot.
War es also wieder einmal so weit. Ich konnte mir nicht helfen, in mir stieg der Zorn hoch. Warum konnte Elisabeth nicht wenigstens ein klein bisschen versöhnlich sein? Dass sie ihren eigenen Weg gehen wollte, konnte ich ja verstehen, aber musste sie sich deshalb mit allen Menschen überwerfen? Ihr Onkel hatte ihr bisher nur Gutes getan, er meinte es nicht schlecht. Mit ein wenig Freundlichkeit hätte man ihn vielleicht zu einer anderen Lösung überreden können. Aber so?
»Musst du denn immer alle vor den Kopf stoßen?«, fragte ich Elisabeth.
Und da fuhr sie mich an: »Es kommt dir nicht zu, über mich zu urteilen, Gisa. Was ich sage und tue, ist meine Sache und die meines Beichtigers. Und die des Allmächtigen. Wenn dir das nicht recht ist, steht es dir jederzeit frei zu gehen.«
So hatte sie noch nie mit mir geredet. Ich war so erschrocken, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. »Heißt das, du willst mich nicht mehr haben, weil ich dir nicht nach dem Mund rede?« Ich konnte es nicht fassen.
Sie sah mich an, und plötzlich wurde ihr Blick wieder weich. Jetzt erst wurde ihr wohl bewusst, was sie gesagt hatte. Mit einem kleinen Aufschrei zog sie mich in ihre Arme, küsste und herzte mich. »Verzeih mir, Gisa«, stammelte sie, »ich wollte dir nicht weh tun. Und du musst bei mir bleiben. Ich brauch dich doch!«
Jetzt weinten wir beide.
Wo ging es nur mit uns hin?
Eine Woche später erschien der Bischof ohne Vorankündigung in unserer Kemenate und teilte Elisabeth seine Entscheidung mit: »Ihr werdet noch heute aus Bamberg abreisen, Frau Elisabeth«, fauchte er. »Mein Reisewagen wird Euch auf die Burg Pottenstein bringen, wo ihr genügend Zeit haben werdet, über Euer Verhalten und Eure Zukunft nachzudenken. Und wenn Ihr dann zur Vernunft gekommen seid und bereit seid, der Familie keine Schande mehr zu machen, lasst es mich wissen. Bis dahin gehabt Euch wohl.« Er wandte sich brüsk ab, drehte sich aber noch einmal um. »Ach ja, Euren Sohn werde ich in meiner Obhut behalten, das ist besser für den Jungen.« Dann war er fort.
Wir rafften unsere wenigen Habseligkeiten zusammen, und eine Stunde später saßen wir schon in der Kutsche. Elisabeth sprach wenig, sie sah die meiste Zeit aus dem Fenster und hing ihren Gedanken nach. Ich war ratlos und niedergeschlagen, Isentrud ebenso, und selbst Guda machte ein düsteres Gesicht. Überall schickte man uns fort. Unser Schicksal wurde immer ungewisser.
Burg Pottenstein, Mai 1228
D ie Burg hockte auf dem nackten Felsblock wie ein Raubvogel auf seinem Nest. Hoch über dem Tal thronte sie, nur über einen schmalen, steilen Aufstieg zu erreichen. Von hier aus überwachten die Burgmannen des Bischofs gleich zwei Täler, der Blick reichte weit über die Hügel ins Land hinein.
Raimund von Kaulberg beschattete seine Augen mit der Hand gegen die untergehende Sonne. Dort droben also. Dort hielt sich Elisabeth von Thüringen auf, angeblich auf eigenen Wunsch. Sie habe die Stille eines abgelegenen Ortes gesucht, hatte ihr Onkel, der Bischof, ihm zu Bamberg erzählt. Hier waren die Kreuzfahrer nach zweimonatigem Ritt angekommen, nachdem sie bereits in Nürnberg die Kunde ereilt hatte, die Landgrafenwitwe hielte sich in der Domstadt auf. Verstoßen habe man sie, behaupteten die einen. Sie habe ihre Krone abgelegt und sei herabgestiegen in den Staub zu den Armen, erzählten die anderen. Raimund wusste nicht, was er glauben sollte. Aber ganz gleich, was nun die Wahrheit war, die Gebeine des Landgrafen mussten zuerst seiner Witwe übergeben werden, nicht seinem Bruder Heinrich Raspe.
Die anderen Ritter waren mit den beiden Kisten in Bamberg geblieben, während er nach Pottenstein aufgebrochen war, um die Nachricht von ihrer
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