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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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der Kemenate zusammen, fast so wie in alten Zeiten. Raimund hatte die schmerzliche Botschaft überbracht, und Elisabeth hatte in seinem Arm geweint. Den ganzen Abend redeten sie. Raimund sprach über den Kreuzzug und die letzten Tage des Landgrafen, und die Frauen schilderten ihm ihr Schicksal der vergangenen Monate. Als schließlich das Feuer im Kamin niedergebrannt war, gingen sie zu Bett. Am nächsten Morgen wollten sie in aller Frühe nach Bamberg aufbrechen, wo Ludwigs sterbliche Überreste auf Elisabeth warteten.
    Raimund konnte lange nicht einschlafen. Ihm war immer noch, als hielte er Gisa in den Armen. Den ganzen Abend hatte er den Blick kaum von ihr wenden können. Jeden Augenblick ihres Zusammenseins hatte er genossen. Und doch hatte er sich innerlich zerrissen gefühlt. Wie konnte er an diesem Abend glücklich sein im Schatten von Elisabeths Trauer? Wie konnte er verliebt sein, wo zu Bamberg Ludwigs Knochen in zwei Kisten verteilt auf seine Witwe warteten? Die Freude über seine Heimkehr, das Glück, Gisa wiederzusehen – beides schmeckte bitter angesichts der Totenrückkehr seines Herrn.
     
    Diesmal nahmen sie nicht den Reisewagen, sondern ließen sich vom Burgvogt Pferde satteln. Es wurde ein beschwerlicher Ritt, aber sie schafften es in anderthalb Tagen bis nach Bamberg, wo sie müde und staubig ankamen. Man brachte sie auf Anweisung Ekberts wieder in den Herzogshof; hier konnte sich Elisabeth am Abend noch einmal fassen und auf die schwere Stunde am nächsten Morgen vorbereiten. Die Frauen begaben sich deshalb gleich nach der Ankunft in ihre Gemächer, während Raimund nach einem ordentlichen Abendmahl eine Kammer im Seitentrakt bezog. Primus und Miriam richteten sich wie immer bei den Pferden ein.
    Die Nacht war windig und mondhell. Über der Stadt strahlte ein klarer, funkelnder Sternenhimmel und goss sein milchiges Licht über die Dächer. Das Lied des Nachtwächters klang durch die Gassen.
    Raimund lag mit offenen Augen auf seiner Bettstatt und dachte an den kommenden Tag. Nachdem er sich vergeblich von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, stand er mit einem Seufzer auf, ging zum Fenster und sah in den Garten hinunter. Er schnupperte: Es roch nach frischem Grün und Maiglöckchen. Die Zweige der alten Linde bewegten sich im Wind, und auf der Gartenmauer leuchteten gelb die Augen einer Katze. Ein Rascheln lenkte seinen Blick zu der steinernen Säule beim Rosenbeet.
    Da stand sie, reglos, fröstelnd, den Umhang eng um sich gezogen. Das Haar hing ihr wie ein Schleier bis zu den Hüften, im Mondlicht glänzte es wie blankes Silber. Raimund konnte sich kaum sattsehen an ihrem Anblick, es zog ihn mit aller Macht zu ihr hinunter. Hastig schlüpfte er in Hemd und Hosen, griff sich eine Decke und lief suchend durch die Gänge, bis er die Gartenpforte gefunden hatte.
    Er näherte sich Gisa auf leisen Sohlen. Als er nur noch ein paar Schritte entfernt war, rief er sie an, um sie nicht zu erschrecken. Sie drehte den Kopf und lächelte, schien gar nicht überrascht. Er trat näher und legte ihr von hinten die Decke um die Schultern. »Ich hab Euch vom Fenster aus gesehen«, sagte er sanft. »Was macht Ihr denn so spät noch hier draußen? Seid Ihr gar nicht müde?«
    Sie blickte nach oben. »Ich schaue den Mond an. Heute scheint er so nah.«
    Er lächelte. »Es sieht aus, als ob er genau auf der Turmspitze des Michelsklosters säße.«
    Eine Weile standen sie still da. Fledermäuse schossen auf der nächtlichen Jagd über ihren Köpfen hin und her, irgendwo rief ein Käuzchen.
    »Ich habe oft an Euch gedacht auf der Kreuzfahrt«, sagte Raimund. »Obwohl Ihr mir diesmal keine Schneekugel mitgegeben habt.«
    Gisa bückte sich und pflückte ein Maiglöckchen. »Ich habe für Euch gebetet«, erwiderte sie. »Für euch alle. Aber Ludwig hat es nicht geholfen.«
    Er senkte den Kopf. »Nein.«
    Sie drehte sich zu ihm um. »Ach, Raimund, was soll nur aus Elisabeth werden, jetzt, wo er tot ist?«
    »Heinrich Raspe würde sie wohl am liebsten im Kloster sehen. Aber wie ist es mit Euch? Würdet Ihr Eurer Herrin dorthin folgen?«
    »Nein!« Das kam aus tiefstem Herzen. »Ich will nicht hinter Mauern verrotten. Ich will keine Gebete und Langeweile bis zu meinem Ende. Ich will leben. Versteht Ihr das, Raimund?«
    Er holte tief Atem, dann wagte er es. Langsam hob er die rechte Hand und strich mit dem Zeigefinger über ihre Wange. »Ja«, flüsterte er, »das verstehe ich gut. Ihr seid jung und schön und lebendig.

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