Die Tore des Himmels
Mitte des Geländes sollte ein quadratisches Haus aus unverputztem Fachwerk entstehen, in dem wir Frauen wohnen konnten und das die Hospitalküche beherbergen würde. Dies sollte zuerst fertiggestellt sein, damit wir möglichst schnell einziehen konnten. Danach sollte ebenfalls aus Lehm, Holz und Flechtwerk ein flacher Hospitalbau kommen, an dessen Stirnseite sich eine kleine Kapelle anschloss. So würden die Kranken täglich an der Messe teilnehmen können. Noch ein kleiner Holzbau für den Wirtschafter – Konrad hatte darauf bestanden, dass ein Mann in den Zeiten seiner eigenen Abwesenheit die Geschäfte führte. Und eine weitere Hütte für Vorräte und Gerätschaften. Dann musste noch die Quelle ordentlich gefasst werden. Ein einfacher Zaun sollte alles umschließen.
Die Männer machten sich gleich am nächsten Tag an die Arbeit. Während sie rodeten und gruben, Fundamente setzten, Holz und anderes Baumaterial herbeischafften und zurechtzimmerten, halfen wir dabei, das Grundstück mit einem mannshohen Flechtwerkzaun zu umgeben, und wir legten auch schon einen kleinen Garten an, in dem wir heilende Kräuter anbauen wollten. Manchmal schleppten wir auch Holz und Lehm für den Bau. Die viele Anstrengung tat mir gut. Nachts fiel ich todmüde ins Bett und schlief tief und traumlos. Ich fand mich mit jedem Tag mehr damit ab, dass mein Lebenstraum eben nicht in Erfüllung gehen würde. Dafür aber würde ich hier, zu Marburg, eine Heimat haben, und eine Aufgabe. Ich würde zusammen mit den anderen ein Hospital führen. Hier war ich erwünscht, hier wurde ich gebraucht, niemand lehnte mich ab oder verurteilte mich. Das machte mich froh. Wir alle bauten uns hier etwas Gemeinsames auf, etwas Eigenes, auf das wir stolz sein konnten. Elisabeth und die anderen sangen und lachten bei der Arbeit. Und eines Tages ertappte auch ich mich dabei, dass ich voller Freude auf das halbfertige Haus, die kleine Quelle und den frisch angepflanzten Garten blickte und es gar nicht erwarten konnte einzuziehen.
Die Marburger kamen und staunten. Dies also war die verrückte Landgräfin, von der man so viel gehört hatte! Nun, wenn sie der Stadt ein Hospital schenkte, dann mochte sie ruhig närrisch sein. Nur diese Fröhlichkeit, die sie an den Tag legte – nun ja, offensichtlich hatte sie sich recht schnell über den Tod ihres Mannes hinweggetröstet! Eine trauernde Witwe sah nämlich anders aus!
Eines Tages bekamen wir dann hohen Besuch: Graf Widukind von Battenberg, Burgherr auf der Marburg, kam auf seinem edlen Schimmel geritten, um uns und den Fortschritt des Hospitalbaus in Augenschein zu nehmen. »Wer von euch ist Frau Elisabeth?«, herrschte er uns an.
Elisabeth trat vor.
»Ich habe Anweisung des Landgrafen, darauf zu achten, dass Euer Leben und Benehmen hier in Marburg schicklich und ohne Tadel ist. Mein Auftrag ist, ihm regelmäßig zu berichten. Ansonsten hat er befohlen, Euch weder zu behindern noch zu helfen und Euch auch nicht als Landgräfinwitwe zu behandeln. Denn Ihr seid ja aus der Gemeinderschaft der Familie ausgeschieden.«
»Ich habe nichts anderes erwartet«, antwortete Elisabeth. »Seid bedankt für Eure Freundlichkeit.«
Er schnaubte, riss die Zügel herum und galoppierte davon.
Isentrud stemmte die Arme in die Hüften. »Was für ein grober Klotz!«, schimpfte sie.
Zumindest wussten wir nun, wie der Herr über Burg und Stadt zu uns stand. Elisabeth kümmerte es wenig. Sie kaufte unermüdlich Werkzeug und Hausrat, bestellte bei den Schreinern Kästen, Tische und Bänke, bei den Webern Laken und Decken. Sie sandte Isentrud nach Frankfurt, um Messgerät für den Gottesdienst zu kaufen. Und als die Bauleute den Grundstein für die Kapelle legten, ging sie zum Stadtpfarrer und ließ ihn ein Schreiben an den Papst aufsetzen, in dem sie ihn um seinen persönlichen Segen für sich selbst, ihr Werk und ihr Streben bat. Und um eine Reliquie des Heiligen Franz, nach dem sie das Hospital benennen wollte.
Und sie erhielt Antwort. Eine Woche nach Mariä Himmelfahrt erreichte uns ein Schreiben seiner Heiligkeit, in dem er Elisabeth seine liebe Tochter nannte und ihr Mut zusprach. Wir alle waren tief berührt, und im Wissen um die päpstliche Unterstützung zogen wir frohgemut in unser neues Haus ein.
Noch bevor der erste Schnee fiel, war das Hospital so gut wie fertiggestellt. Und als ob er es geahnt hätte, stand eines Tages Konrad vor unserer Tür. Er bezog das kleine Häuschen, das für den Hospitalschaffer
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