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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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wechseln, bevor der Nächste seinen noch leibwarmen Platz einnahm. Hier lagen die von Brand und Abszessen Befallenen, die Fiebernden, die Lungenkranken und die schwächsten Alten, die nicht mehr aufstehen konnten. Stetes Stöhnen und Jammern erfüllten den länglichen Raum, manche schrien im Traum oder wälzten sich vor Schmerzen. Der Mittelgang sollte eigentlich Frauen von Männern trennen, aber das ließ sich in dem Durcheinander meistens nicht durchhalten. Wir achteten nur darauf, dass in den Betten alles züchtig zuging. Es stank hier drinnen wie im hintersten Hof der Hölle, nach Eiter, Erbrochenem, Exkrementen, Fäulnis und Verwesung. Da half auch nicht, dass wir mehrmals am Tag mit Wacholderzweigen räucherten. Fliegen schwärmten überall und setzten sich auf die offenen Wunden der Kranken, in die Augenwinkel, auf die Lippen. Wir Dienerinnen – Zofen waren wir längst nicht mehr – mussten uns jedes Mal überwinden, bevor wir das Spital betraten, wir banden uns gegen den entsetzlichen Gestank Tücher mit Kräuteröl vor Mund und Nase. Vielen konnten wir nicht mehr helfen, nur noch das Sterben erleichtern. Aber sie verbrachten ihre letzten Tage wenigstens menschenwürdig und mit Gebeten. Denn auch und vor allem dafür sorgte Elisabeth. »Gott ist der letzte Arzt«, sagte sie stets, »ohne ihn kann es kein Leben geben und keinen Tod.« So mancher starb mit einem Lächeln auf den Lippen.
     
    Am Tag nach der Ankunft des Geldes sah ich zufällig, wie Elisabeth beim Brunnen mit ein paar Eisenacher Burschen sprach, jedem ein Geldstück in die Hand drückte und sie fortschickte. »Was hast du den Buben denn aufgetragen?«, fragte ich sie.
    Da ergriff sie meine Hände und wirbelte mich fröhlich im Kreis herum. »Sie rufen alle Armen im Umkreis von sieben Meilen zusammen. Morgen Mittag sollen sie da sein. Und dann, dann will ich sie beschenken!«
    Mir schwante schon, was sie vorhatte. »Du willst ihnen von dem Geld geben?«
    »Alles! Alles sollen sie haben! Schau, es ist doch noch so viel von der ersten Zahlung übrig, der Hospitalbau war ja nicht teuer. Wir brauchen doch die fünfhundert Mark Silber gar nicht.«
    Ich konnte es nicht fassen! Dieses Geld musste für lange Zeit reichen – wer wusste schon, ob Heinrich Raspe den Rest überhaupt noch schicken würde. »Bist du wahnsinnig?«, rief ich wütend. »Du willst alles verschenken? Wir brauchen das Geld, um unser Hospital auch in zehn Jahren noch zu unterhalten! Unsere Einnahmen aus deinen anderen Gütern reichen doch längst nicht aus! Und was wird Konrad dazu sagen?« Konrad war unglücklicherweise wieder einmal auf Reisen, wie so oft.
    Elisabeth war nicht zu bremsen. »Jesus sagt: ›Was du dem Geringsten unter deinen Nächsten tust, das tust du mir selbst‹. Gisa, wir müssen die Menschen glücklich machen! Ach, wie freue ich mich.« Sie breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst.
    Ich kannte das. Solche rauschhaften Zustände hatte sie schon öfters gehabt. Dabei steigerte sie sich in ein Hochgefühl hinein, aus dem man sie mit keiner noch so guten Begründung und den schönsten Überredungskünsten nicht herausholen konnte. Da war dann aller Widerspruch sinnlos. Ich redete zwar noch eine Weile auf Elisabeth ein, aber dann gab ich auf. Vielleicht würden ja nicht so viele Leute kommen.
     
    Ich hatte mich getäuscht.
    Schon am späten Nachmittag lungerten die ersten zerfledderten Gestalten am Eingang herum, und im Lauf des Abends gesellten sich immer mehr dazu. Kinder, Alte, Frauen und Männer, denen man die Mühsal des Lebens und die bittere Not ansah. Isentrud lief noch kurz vor Einbruch der Nacht zur Mühle hinüber, um weitere Säcke Mehl für den nächsten Tag zu bestellen. Ich lief in die Stadt zum Viehhändler und kaufte ihm drei fette Schafe ab.
    Als wir am nächsten Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl aufstanden, lagerten schon über hundert Menschen im Hof. Und es strömten immer mehr herbei, von nah und fern. Die Gesunden gingen, die Lahmen schleppten sich auf Krücken und Handschemeln herbei, die Kränksten wurden getragen. Elisabeth klatschte vor Freude in die Hände, während Guda, Isa und ich uns immer größere Sorgen machten. Isa rannte noch einmal nach Marburg, um alles an Essbarem zu kaufen, was noch aufzutreiben war. Wir entzündeten vor dem kleinen Schuppen drei Feuer, über denen wir die Schafe brieten, und kochten im Haus töpfeweise Milchgrütze für die Kleinsten.
    Und dann, am Mittag, war es so weit. Der Hof

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