Die Tore des Himmels
»Nix!«
Ich muss grinsen. »Die Farbe geht nicht ab! Im Heiligen Land sind alle so dunkel. Das kommt, weil dort die Sonne so brennt.«
Stundenlang erzähle ich vom Kreuzzug. Ida hat Feuer geschürt und einen Kessel Gerstengrütze gekocht, und Miriam hat ihr dabei geholfen. Die zwei verstehen sich, das macht mich froh. Der Körnerbrei schmeckt zwar nach gar nichts, wenn man ihn mit den scharf gewürzten Speisen im Heiligen Land vergleicht, aber wenigstens war überhaupt was zu essen da.
Die beste Nachricht spare ich mir für den Schluss auf: dass ich ein Auskommen habe. Mein Herr Raimund hat nämlich beschlossen, mich zu behalten, auch nach dem Kreuzzug. Ich bleibe Diener und Pferdeknecht des landgräflichen Waffenmeisters. Das ist doch was! Die Kost bekomme ich bei Hof am letzten Gesindetisch, aber das ist immer noch tausendmal besser als alles, was ich vorher gewohnt war. Und ein paar Pfennige gibt’s obendrein. Für mich und Miriam reicht es wohl, und vielleicht bleibt auch ein bisschen was für die anderen.
Als wir an diesem Abend schlafen gehen, sind eigentlich alle froh und zufrieden, sogar Miriam. Nur ich mache mir Sorgen. Mutters Husten gefällt mir gar nicht.
So leben wir jetzt also alle zusammen im alten Schweinestall in der Hengersgasse. Miriam kommt gut mit den anderen zurecht, und sie kümmert sich liebevoll um den kleinen Michel, wenn es Mutter nicht gutgeht, und das ist meistens. Und nachts, wenn wir dann ganz eng aneinandergeschmiegt daliegen, dann sind wir glücklich. Mutter hat ein paar alte Decken und Lumpen aneinandergenäht und uns ein kleines Stückchen Raum damit abgeteilt, in dem wir unser Lager gerichtet haben. Und wenn alle schlafen, dann lieben wir uns ganz, ganz leise.
Manche haben das Paradies, andere halt nur einen Schweinestall.
Und noch andere ein Fachwerkhaus hinter der Münze! Ich bin fast umgefallen, als ich es erfahren hab: Ortwin hat sich das Haus gekauft, in dem die Ketzer ihre Zusammenkünfte abhalten! Da fragt man sich doch, wovon? Ganz Eisenach zerreißt sich das Maul. »Bei dem ist wohl der Reichtum ausgebrochen!«, heißt es. Und ganz Mutige, die keine Angst haben, von ihm aufs Maul zu kriegen, fragen spöttisch, wie viele reiche Kaufleute man kaltmachen muss, um so viel Geld auf die Seite zu bringen. Die wissen ja nicht, so wie ich, dass Ortwin am Anfang des Kreuzzugs einen gefüllten Beutel vom neuen Landgrafen bekommen hat. Inzwischen ist er sogar so was wie sein Leibwächter und stolziert auf der Burg herum, als ob ganz Thüringen ihm gehören würde. Der glaubt, ihm scheint die Sonne aus dem Arsch! Neulich gibt er mir doch tatsächlich im »Wilden Mann« einen Krug Bier aus. Da ist er schon ziemlich besoffen. Und ich frag ihn einfach, wie er sich das Haus hat leisten können.
»Pssst«, macht er und legt den Finger auf die Lippen. »Weißt du, der Landgraf ist mein Freund! Mein guter Freund!«
»Da kannst du dich glücklich schätzen«, sage ich und mache ihm seinen Daubenbecher noch mal richtig voll.
Er trinkt fast alles in einem Zug aus und beugt sich dann zu mir herüber. »Er ist mir was schuldig«, sabbert er mir ins Ohr. »Was Großes!«
Und rutscht langsam unter den Tisch.
Was Großes! Mein Gott! Ich sitze da und bin ganz starr. Ich hatte doch recht! Es war ja zuerst nur ein Verdacht, aber jetzt bin ich endgültig sicher: Ortwin hat den Landgrafen auf dem Gewissen! Darum war er in der Nacht seines Todes bei ihm in der Koje. Heinrich Raspe hat ihn mit auf den Kreuzzug geschickt, damit er ihn umbringt. Weil er selber Landgraf werden wollte. Der Beutel mit Geld war Judaslohn. O Himmelherrgott! Und jetzt gehört Ortwin das Ketzerhaus, wo sie sich immer noch treffen. Es passt alles zusammen.
Mich packt eine Scheißangst. Hoffentlich hat er morgen früh vergessen, dass er gerade zu viel geredet hat. Denn wenn er nur den geringsten Verdacht hat, dass ich was ahne, dann murkst er mich ab, und zwar kaltlächelnd. Ich ziehe ihn unter dem Tisch vor und schüttle ihn wach. Mit viel gutem Zureden flöße ich ihm noch zwei Becher Bier ein, bis er endgültig wegkippt.
Lieber Gott, lass ihn morgen von nichts mehr was wissen!
Gisa
A nfang Juni erreichten wir Marburg, eine unansehnliche Ansammlung von Burgmannenhäusern und Holzhütten unter einer trutzigen Burg. Ich habe kaum Erinnerungen an die Reise, die Trauer um meine verlorene Liebe war so frisch und so groß, dass ich nur wenig von meiner Umwelt wahrnahm. Wir Frauen fuhren mit der kleinen
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