Die Tore des Himmels
geliebt!«
»Wie gut du lügst«, erwiderte er voll Abscheu.
»Raimund …« Sie hob ein letztes Mal bittend die Hände.
Er wich zurück. »Ich habe einmal eine Hure geheiratet«, sagte er leise. »Ein zweites Mal werde ich diesen Fehler nicht machen.« Dann drehte er sich um und ging.
Gisa glitt mit dem Rücken an der Brüstung zu Boden und kauerte sich zusammen wie ein Kind. Sie weinte die halbe Nacht, bis sie vor Erschöpfung einschlief.
Am nächsten Morgen ritten die Frauen mit dem Prediger und der ersten Rate des Brautschatzes ab nach Marburg. Raimund von Kaulberg sah ihnen vom Wehrgang aus nach, bis sie in der Ferne nur noch als winzige Pünktchen erkennbar waren. Ihm war, als sei alles Leben in ihm erloschen.
Primus
W ie hab ich nur jemals glauben können, Eisenach sei der Nabel der Welt? Warum ist mir nie aufgefallen, wie klein und unansehnlich die Stadt ist und wie krumm und armselig ihre Häuser? Nicht einmal die Hauptstraße ist gepflastert, alles nur Dreck und Schlamm! Und die Stadtmauer, auf die alle Eisenacher so stolz sind – die sollen erst mal nach Italien ziehen, da können sie dann sehen, was eine Stadtmauer ist!
Wie ein heimkehrender Held bin ich eingeritten durchs Georgentor! Alle sollten sehen, dass ich jetzt wer bin! Einer, der die Welt bereist hat, der furchtlos ins Heilige Land gezogen ist. Und ich hab aus Akko das schönste Mädchen auf der ganzen Welt mitgebracht. Hinter mir ist sie durch die Gassen getrabt, in ihrem sarazenischen Gewand. Ich hätte platzen können vor Stolz!
Als wir dann in die Gasse vom »Wilden Mann« eingebogen sind, ist mir doch ein bisschen mulmig geworden. Hoffentlich geht es allen gut, hab ich gedacht. Aber da ist mir vor der Taverne schon das Hannolein über den Weg gelaufen. Er hat mich gesehen, die Augen ganz weit aufgerissen, sich stracks umgedreht und ist wie ein geölter Blitz in den Hinterhof geschossen. Dann ein großes Geschrei, und Ida und Irmel stürmen um die Ecke. Ich freu mich so, ich kann’s gar nicht sagen. Ratz überschlägt sich fast, er japst und bellt und jault, und beinahe fällt ihm vor lauter Wedeln der Schwanz ab.
Wir sind gleich abgestiegen und haben die Pferde in den Hof geführt. »Und die Mutter?«, hab ich gefragt.
»Die liegt mit dem Stickhusten im Bett«, sagt Ida. »Geh nur schnell hinein.«
Als ich den alten Schweinestall betrete, kommt er mir viel enger und kleiner vor als früher. Und da liegt die Mutter, blass und dünn, aber sie lacht übers ganze Gesicht. Ich werfe mich in ihre Arme, und da weint sie ein bisschen, vor Glück, sagt sie. »Dass du wieder da bist, mein Großer!«, ruft sie ein ums andere Mal, und »Danke, Gott!« Zwischendurch hustet sie wie verrückt. Plötzlich hebt sie einen Zipfel ihrer Decke an, und da schläft ein Kindchen. »Das ist dein neuer Bruder!« Sie schaut mich an. »Ich hab ihn Michel genannt.«
Jetzt kommen mir die Tränen. Ich heb den Kleinen hoch, davon wacht er auf und lacht mich an. Zwei Zähne hat er schon, und obwohl er bestimmt vom Wirt ist, dem Schweinearsch, sieht er dem armen Michel mit seinen blonden Haaren so ähnlich, dass es richtig weh tut. Er blubbert mit Spucke und patscht nach meiner Nase.
»Mutter«, sag ich, »ich war nicht am Heiligen Grab. Aber ich hab in der Kathedrale von Akko für den Michel gebetet und eine Kerze angezündet. Vater Berthold von der Burg droben hat gemeint, der liebe Gott lässt das auch gelten.«
Sie nickt unter Tränen.
Da fällt mir ein, dass ich Miriam ganz vergessen hab. Sie steht noch draußen, ganz schüchtern, also hole ich sie herein. Ich schäme mich für den elenden Schweinestall, in dem meine Familie leben muss, aber sie macht mir ein Zeichen, dass alles gut ist. Immer weiß sie, was ich denke!
Ich nehme sie bei der Hand und ziehe sie zu Mutters Lager. »Das ist Miriam aus Akko«, sage ich stolz, »meine Frau.«
Mutter fragt vorsichtig: »Ist sie denn eine Christin?«
»Genau wie wir«, sage ich.
Da setzt Mutter sich auf und umarmt Miriam. »Sei mir willkommen, Kind. Jetzt hab ich eine Tochter mehr!«
Miriam legt die Hände zusammen und neigt den Kopf. Sie hat verstanden; inzwischen versteht sie eine ganze Menge in unserer Sprache, sie ist klug.
»Sie kann nicht sprechen«, erkläre ich. »Aber wir reden mit den Händen.«
Auch meine Schwestern und das Hannolein nehmen Miriam in den Arm. Dann leckt das Hannolein zwei Finger an und reibt damit über ihre Backe. Erstaunt guckt er auf seine Finger und sagt:
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