Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
Vom Netzwerk:
natürlich das Meinige dazu tun«, antwortete er. »Der Rest liegt in der Hand des Allmächtigen.«
    »Meister«, sagte sie nach einer Weile. »Ich habe Angst. Dass es nicht gereicht hat.«
    Er sagte: »Gott gibt jedem, was er verdient.«
    Dann muss er dir einmal einen Platz am heißesten Ort der Hölle zuweisen, dachte ich hasserfüllt.
    In den nächsten beiden Tagen stieg das Fieber langsam, aber stetig. Irmengard und ich kamen mit den kalten Wickeln kaum mehr nach. Elisabeth hatte Fieberträume, in denen sie wieder auf der Wartburg war. Manches Mal sprach sie mit ihrem geliebten Ludwig, dann sah sie so glücklich aus, dass mir das Herz brechen wollte. Dann wieder warf sie sich auf ihrem Lager hin und her, schrie: »Hinweg, Satan!« und Ähnliches. Wenn es ganz schlimm war, rief der kleine Michel ihren Namen und drückte sich eng an sie, dann wurde sie ruhig.
    Am ersten Montag nach Martini empfing Elisabeth von Konrad noch einmal den Leib Christi. Da konnte sie schon nicht mehr sprechen. Ihr Atem ging rasselnd, manchmal stockte er. Wir betteten sie noch höher, um ihr das Luftholen zu erleichtern, aber es half nicht viel. Das Ende war nah.
    Am Abend befahl Konrad Irmengard, ihn rufen zu lassen, wenn es so weit sei. Ein einziger Blick in ihr Gesicht genügte mir, um zu wissen, dass sie es nicht tun würde. Sie war ein guter Mensch, auch wenn man sich hinterher erzählte, dass sie Konrads Geschöpf gewesen sei und Elisabeth für ihn bespitzelt hätte. Das stimmte nur für die zweite Magd, Lisbeth, und auch nur für den Anfang, denn dann hatten beide Frauen so wie ich gelernt, den Prediger zu verabscheuen. Später würde er Geschichten über Elisabeths letzte Tage und Stunden verbreiten lassen, die mit der Wahrheit wenig zu tun hatten. Dabei können Irmengard und ich bezeugen, dass er bis auf drei, vier kurze Besuche gar nicht bei ihr war. Nur wir beiden Dienerinnen waren die letzte Zeit über bei ihr, und Michel.
     
    Michel, der zu ihren Füßen schlief, spürte es zuerst. Er stupste mich wach; ich war auf meinem Stuhl eingeschlafen. »Komm, Gisa«, sagte er. Irmengard eilte aus der Küche herbei, wo sie neben der Herdstelle ihr Bett hatte.
    Elisabeth lag ruhig da, die Augen geschlossen. Im schwach flackernden Licht des Talglämpchens sah ich, dass ein Lächeln um ihren Mund spielte. An ihrem Hals pochte ganz sacht eine Ader. Michel legte den Finger auf seine Lippen. Und da hörte ich es: ein leises Summen, fein wie Spinnweb. Es war kein Lied, das ich kannte, aber es klang berührend schön, in den Tönen schwang etwas Wundersames, Liebliches. Es lagen Hoffnung und Sehnsucht darin, Heiterkeit und Frieden. Noch heute, nach so vielen Jahren, kann ich diese Melodie singen, sie hat mich immer begleitet, ein letztes Geschenk von ihr.
    Und dann, ganz plötzlich, als die ersten Strahlen der Morgensonne durchs Fenster fielen, brach das Lied unvermittelt ab.

Gisa
    I ch konnte nicht mehr weinen. Ich hatte das Gefühl, auch mein Leben sei irgendwie vorbei. Am Ende hatte ich Elisabeth nicht mehr verstanden, doch sie war immer ein Teil von mir gewesen. Nun war er weggerissen. Ich fühlte mich so allein wie noch nie in meinem Leben. Aber man sagt ja, die Lebenden dürfen die Toten nicht festhalten, sonst finden sie im Grab keine Ruhe. Also versuchte ich, sie in Liebe gehen zu lassen. Sie hatte sterben wollen, das war ein Teil ihres Weges zur Seligkeit. In meiner Phantasie malte ich mir aus, wie sie im Glanz eines überirdischen Lichtes die Tore des Himmels durchschritt, so, wie sie es sich immer gewünscht hatte.
    Wir wuschen Elisabeth und salbten ihren Körper mit Öl, dann zogen wir ihr eine saubere graue Kotte an, kämmten ihr Haar und banden ihr das Kinn mit Tüchern auf.
    Danach ging ich heim. Ich war unendlich müde, fühlte mich erschöpft, bleischwer und ausgelaugt. Mein Kopf war einfach nur leer. Kaum war ich in meiner Kammer angekommen, warf ich mich aufs Bett und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
     
    Konrad ließ Elisabeth zwei Tage lang in der Hospitalkapelle aufbahren, gleich vor dem Altar. Die Nachricht von ihrem Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Stadt und Land; viele Menschen strömten herbei, um von ihr Abschied zu nehmen. Und sie taten es auf ihre Weise. Hatte Elisabeth ihnen schon im Leben gehört, so nahmen sie sie nach ihrem Tod erst recht in Besitz. Wie im Wahn fielen sie unter Heulen und Wehklagen über sie her. Erst rissen sie Streifen aus ihrem Gewand und den Tüchern, dann schnitten sie

Weitere Kostenlose Bücher