Die Tore des Himmels
dem Scheitern des letzten Kreuzzugs wild entschlossen, den Heiden diesmal das heilige Grab zu entreißen. Herr Raimund will ihn wohl nicht alleine ziehen lassen.« Kurz darauf aber erfuhr ich den wahren Grund für Raimunds Entschluss von meiner Ziehmutter. »Er geht aus lauter Liebe zu Eilika«, sagte sie voll Rührung. »Um sich im Heiligen Land ein Besitztum oder ein Lehen zu erobern, wie es so viele Kreuzritter schon früher getan haben. Um seiner Frau ein gutes Leben bieten zu können mit all den Annehmlichkeiten, die sie sich wünscht. Du kennst sie ja, sie verlangt nach Pracht, Geld und schönen Dingen. Die muss er ihr wohl bieten, wenn er sie glücklich machen will.«
Das stach mir ins Herz! Ich war so zornig auf Eilika! Wegen dieser Frau nahm er die Todesgefahr eines Kreuzzugs auf sich! Auch wenn ich zu jung und zu arm für Raimund von Kaulberg war, ausgerechnet dieses Weib hatte ihn nicht verdient!
Als er zusammen mit seinem Vater und einem jungen Knappen zum Burgtor hinausritt, sah ich vom Fenster der Kemenate aus zu. Eilika stand im Hof und weinte – ich war sicher, sie tat nur so. Ich wollte gern froh darüber sein, dass Raimund endlich fort war, aber es gelang mir nicht. Ganz im Gegenteil, es überfiel mich plötzlich mit voller Wucht: Er ging fort! Ich würde ihn vielleicht nie wiedersehen! Die Tränen strömten mir übers Gesicht. Als er zum Tor hinaus war, lief ich, so schnell ich konnte, auf den Turm hinauf. Vom Söller aus sah ich den drei Kreuzfahrern nach, bis ihre weißen Umhänge mit dem roten Kreuz in der Ferne verschwammen. Aber sie hat ihn auch nicht, dachte ich mir dann, und das war mir dann doch eine kleine Genugtuung. Und dann stand ausgerechnet Agnes neben mir. »Die Heiden ziehen ihnen die Haut in Streifen ab, sagt Vater Berthold, und dann streuen sie Salz hinein. Und dann reißen sie ihnen die Augenlider ab. Und dann pfählen sie sie und bestreichen sie mit Honig und legen sie in einen Ameisenhaufen. Und am Schluss begraben sie sie lebendig mitten in der Wüste.«
Ich schluckte meine Tränen hinunter. »Nein«, sagte ich, »er kommt wieder. Ich weiß es bestimmt.«
»Und wenn schon«, gab Agnes zurück, »er gehört Eilika! Du bekommst ihn niemals!«
Primus
A m Nikolaustag haben sie den Vater gebracht, meiner Seel, das war schlimm. Er war im Wald zum Fronen; im Winter müssen ja die Bäume für die Herrschaft gefällt werden. Sonst kann man keine Häuser mehr bauen und keine Brücken und nichts, sagt Richwin der Kastner. Auf einer Trage haben sie ihn gebracht, und er hat gestöhnt, und sein Gesicht war weiß wie Kuhmilch. »Der Baum, der vermaledeite«, hat der schieläugige Johannes zur Mutter gesagt, »er ist in die falsche Richtung gefallen. Den Dietram hat’s ganz und gar erwischt, und deinem Eberolf hat’s das Bein zerschlagen.«
Die Mutter hat sich den Bauch gehalten, in dem mein Geschwisterchen immer noch drin war. »Heilige Mariamuttergottes, steh uns bei!«, hat sie gerufen. Und dann ist sie auf die Knie gefallen und hat auch gestöhnt, noch lauter als der Vater.
Der Johannes hat mich zur Schwester vom Schäfer-Friedel geschickt, die in der windschiefen Hütte beim alten Wegkreuz wohnt. Und die hat dann meinem Geschwisterchen auf die Welt geholfen, denn darum hat die Mutter so gestöhnt. Und der Schäfer-Friedel selber, der sich auf’s Heilen versteht, bei den Schafen wie bei den Menschen, der hat Vaters wehes Bein mit Stöcken geschient. Die anderen sind dabeigestanden und haben ernste Mienen gemacht. »Wir helfen euch über den Winter«, haben sie dem Vater versprochen, die Mützen in der Hand. »Hätt ja jeden von uns treffen können.«
Der Vater hat den Schäfer-Friedel gefragt: »Glaubst du, das wird wieder?«
»Im Frühjahr springst du wieder wie ein Böcklein«, hat der Friedel gegrinst.
Aber ich hab’s an seinen Augen gesehen, dass er gelogen hat.
Jetzt ist Frühjahr, und der Vater springt nicht. Er kann nicht einmal richtig laufen. Das Knie ist verdreht und steif, und der Fuß irgendwie krumm, und er braucht einen Stock. Die Schmerzen gehen auch nicht weg, sagt er. Aber für mich war der Winter schön. Ich hab zwar viel zu schaffen gehabt, was sonst der Vater gemacht hat, das war anstrengend, aber ich bin ja schon groß. Und wenn nichts für mich zu tun war, hat mir der Vater das Schnitzen beigebracht. Erst einen Löffel, dann einen kleinen Hasen, einen Esel und am Ende einen richtigen Drachen. Ich hab ein gutes Händchen, hat er mich gelobt. Die
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