Die Tore des Himmels
greift in seinen Zugbeutel und nimmt einen Viertelpfennig heraus. Ein bisschen Geld haben wir ja für die Ziegen und Hühner und ein paar andere Sachen bekommen. »Fürs Essen können wir bezahlen«, sagt Vater. »Bis ich Arbeit hab und wir ein Dach über dem Kopf gefunden haben.«
Tante Anna schnappt sich blitzschnell das Geld. »Ach, die armen Kinderchen«, greint sie. Vorhin hat sie uns noch nicht haben wollen, die alte Schnepfe. »Kommt rein. Da hinten in der Ecke könnt ihr euer Zeug hinschlichten.«
Wir sind so froh, dass wir hierbleiben dürfen. Das Dachzimmer, in dem Onkel und Tante wohnen, ist winzig, und zum Schlafen müssen wir den Esstisch an die Wand schieben, damit wir den Bettsack aufrollen können. Es ist kalt, weil man unter dem Dach kein Feuer machen kann, aber wir sind wenigstens im Trockenen. Und für das Geld hat Tante Anna Brot und Zwiebeln und Käse gekauft, und wir müssen nicht hungrig schlafen gehen. Als der Onkel das Talglicht löscht und wir alle ganz eng aneinandergedrängt im Bett liegen, höre ich, dass die Mutter leise weint. Da bete ich noch leiser zusammen mit Michel, der neben mir liegt: »Lieber Gott, mach, dass alles gut wird.« Dann schlafe ich gleich ein, weil ich von der Karrenzieherei todmüde bin. Morgen müssen wir weitersehen, hat der Vater gesagt.
Schließlich kann jeder in der Stadt sein Glück machen.
Brief der Herzogin Hedwig von Schlesien
(später die Heilige Hedwig von Polen) an
ihre Nichte Elisabeth in Thüringen vom
Montag den 26. Februar 1218
Hadewich, durch Gots Gnade Hertzogin in Schlezy, an ihr vielliebe Schwestertochter Elsbeth von Hungarn, gesessen zu Thuring. Den Grusz des Herrn voraus, guts Töchterleyn, und allzeyt Hülff und Schutz der Heyligen auff deinen Wegen. Dieweiln mir dein Zieh-Mutter im lezten Jahr von deim groszen Unglück geschriben, dadurch dir dein anverlobter Bräuthigam genomen wurd, will ich dich nun mit eygner Handt meiner Lieb versichern. Wiewol ich nur alltzu guth weiß, was früher Brautstandt Guthes bringt, dieweil ich schon im zarten Altter von zwelf Jarn mein Gatten bekam, will ich dich doch trößten. Was geschehn ist, mußt du alß Gotts Fügung annehmen. Er alleyn weiß, was dir im Leben beschiden ist und er helt seine Händ über dich, des sey gewiß. Ich hör von meiner liben Freundin der Lantgrevin, daß du über die Maßen fromm und guth und ein gar gottseligs Kindt bist. Das freut mich von Hertzen, denn der Glaube an unsern Herrn im Himmel ist ein segensreych Dingk und die Wurtzel, auß der alles wächst und gedeyet. Ich seh, du bißt Bluth von meinem Bluth und Fleysch von meinem Fleysch, denn auch ich hab mich gantz und gar dem Heilandt verschriben. Schon vor zehen Jarn hab ich gemeynsam mit meim gelibten Gatten Enthaltsamkeyt gelobet, nachdeme ich ihm sieben Kinder geborn. Und dieweiln auch unser Herr Jesus die Armen gelibt hat, tue auch ich ein selbes. Ich geb gern und reichlich die Almoßen, und wenn ich vor den Herrn gantz in meiner seligen Armuth hintreten möcht, so kauf ich den Bettlern ihr erheischtes Broth ab und eß es anstatt Wiltpret und Pastethen, auch küß ich ihre Fußstapfen zum Zeychen meiner Demuth. Desgleichen folg ich Christo nach in der Lieb zu den Krancken und Bresthaften. Mein größte Freud ist es, die mit Aussatz Behafteten zu waschen und zu salben, und wenn ich hernach mit dem Wasch-Waßer meine Lippen netzen darff, bin ich dem Himmel so nah wie keyn andrer. Mercke dir, mein Kindt, die eygen Freuden und Leiden geringk zu achten und den Armen und Beladenen Guthes zu thun ist wahrer Glaube und der eintzige Wegk zur reynen Seligkeyt. Ich wollt, ich könnt so leben wie die heiligmäßigen Frauen zu Lüttich, Maria von Oigny und Iveta von Huy. Die haben Heim und Herdt, Mann und Kindt verlaßen, um Lepröße und Arme zu pflegen, daß ist ihr einzigs Glück. Sie haben Häußer eingericht, in denen die Krancken eine Heymstatt finden, und führen dieße mit Gots Hülfe zu ihrer und Gots Ehr und Seligkeyt. Ach, könnten wir das nur auch thun! Aber wir, mein Kindt, sind von hohem Stand und Geblüet, und das verbietet unß viles. Wir haben unßer Pflichten, die wir nit laßen dürffen, des muß auch der Herr im Himmel ein Einsehn haben. Doch will ich dir trotz deme ans Hertze legen: Sey weiters so fromm und reyn, tue Guthes an Armen und Krancken und lob Gott an jedem Tagk deines Lebens. Denn bedencke, mein Kindt, aus welchem Hauß du kommst. Deine Vorväter haben bewießen, daß man so gotsfürchtig und
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