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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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reyn im Glauben leben kann, daß auch ohne Martyrium nach dem Todt die Heyligkeit kombt. Sankt Stephan und Sankt Emerich und Sankt Ladislauß, die drey schaun vom Himmel droben auf dich alß ihr libes Kindt herab und freuen sich an dir jeden Tagk, wenn du Guthes vollbringst und ihnen Ehr machst.
    Wenn es nun durch göttlichen Rathschluss so kommen möcht, daß du nit mehr heyrathen wirst, dann wirst du jeder Zeitt wilkommen seyn im Kloßter Kitzingen, wo ich selber ertzogen wurd und dein ander Tante Mechtildis Äbtißin ist. Wenn du aber nit meher zu Thuring pleiben willst oder kannst – denn ich hör auch, daß man nit recht weiß, waß mit dir werden soll – dann stehet mein Hauß dir immer offen. Mein Rath und Fürsorg laß ich dir allezeyt angedeihn, wenn du mir denn schreyben willst. Dieß versichert dir mit Lieb und mütterlicher Fürsorg
    Hadwig, Hertzogin zu Schlesi und demüetige Magd des Herrn.
    Geschriben mit eygner Hand den Montag nach Esto Mihi ao. 1218

Primus
    W ir haben lang bei Onkel und Tante bleiben müssen, weil der Vater keine Arbeit gefunden hat. Unser ganzes Geld ist weg, nur meinen Hohlpfennig, den hat Mutter in den Saum ihrer Kotte eingenäht und gesagt, den packen wir nicht an, erst wenn wir Hungers sterben. Aber jetzt hat der Vater dem Himmel sei Dank ein Auskommen, weil dem Rotgerber vom Mühlgraben sein Gehilfe weggestorben ist am Stickhusten. Also suchen wir ein billiges Obdach, weil sonst treibt uns die Tante Anna noch mit dem Besen aus, sagt Mutter.
    In der Stadt gibt es viele arme Leute. Manche sind Leibeigene, die freiwillig hergekommen sind, denn es heißt, Stadtluft macht frei. Onkel Ernfried hat mir erklärt, dass man ein freier Mensch ist, wenn man ein Jahr und einen Tag in der Stadt gelebt hat. Die meisten Armen sind Bauern wie wir, die von ihrem Hof vertrieben worden sind. Noch schlimmer dran sind die Bettler, die tagsüber auf dem Mittwochsmarkt oder vor den Kirchen hocken. Die haben keine Beine mehr, oder sie sind voller Schwären und Grinde, oder sie sind blind oder verwachsen, dass sie nur kriechen können. Einer sitzt immer vor dem Brothaus, der trägt seinen abgefallenen Arm an einem Strick vor der Brust, ganz schwarz und runzlig. Vater sagt, das Antoniusfeuer hat ihm das angetan. Ich soll aber nicht glauben, dass alle Bettler ehrlich sind. Manche sind Betrüger und tun nur so, als ob sie krank seien.
    Wir ziehen also durch die Gassen und fragen überall herum, ob uns einer eine billige Kammer geben kann. Den ganzen Vormittag haben wir kein Glück, alle schicken uns fort. Schließlich kommen wir auf den Sonnabendmarkt, wo eine Menge Leute versammelt sind. Die schauen bei irgendetwas zu, und ich drängle mich durch, bis ich ganz vorne bin. Zwei Männer knüpfen grad einen schwarzen Hund auf, an einem hölzernen Gestell wie ein Galgen. Der Hund jault und zappelt. »Der hat das Töchterlein vom Gürtler zu Tode gebissen«, erzählt mir eine Frau. »Deshalb wird er nach Recht und Ordnung vom Büttel gehenkt.« Ich sage, dass unser Schwein meine Schwester auch totgemacht hat, und sie nickt mitfühlend. Da traue ich mich, und frage, ob sie ein ganz billiges Obdach für uns weiß. Sie überlegt eine Zeitlang, dann sagt sie: »Erkundigt euch in der Wirtschaft zum ›Wilden Mann‹, am hinteren Eck der Hengersgasse. Sagt einfach, die Hiltrud schickt euch.«
    Ich renne ganz aufgeregt zu den anderen zurück, und dann beeilen wir uns, dass wir den »Wilden Mann« finden. Es ist nur ein kleines, recht heruntergekommenes Wirtshaus, und die Mutter guckt ganz misstrauisch. Ja, sagt der Wirt, er hätte schon eine Bleibe für uns, da waren bis gestern Leute, die sind woandershin gezogen. Und er will drei Viertelpfennige im Monat. Mutter freut sich, denn das ist nicht so viel. Aber als sie die Unterkunft sieht, lacht sie schon wieder nicht mehr. Es ist ein kleiner Anbau im Hinterhof und war früher der Schweinestall. »Hier stinkt’s«, flüstert Michel mir ins Ohr und rümpft die Nase. Der Raum hat zwei winzige Fenster, und auf der hinteren Seite ist eine neu aufgemauerte Herdstelle, über der das Dach ein Loch hat, damit der Rauch hinauskann. Es gibt einen alten hölzernen Sautrog, den man mit einem Brett drüber als Bank verwenden kann, und an der Wand hängt noch ein hölzernes Tellerbord. Auf der Seite gegenüber der Feuerstelle ist eine klapprige Zwischenwand aus Holzlatten, dahinter kann man schlafen. »Drei Viertelpfennige sind ein bisschen viel für so einen alten Saustall«,

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