Die Tore des Himmels
»Hast du nicht bemerkt, dass mein Bruder sich von uns abgewandt hat? Er ist in den Schoß der alten Kirche zurückgekehrt, das hat er mir selber gesagt.«
»Verdammt.« Der Truchsess biss sich auf die Lippen. »Wir haben uns schon alle gefragt, warum Meister Wido so lange nicht mehr hier war.«
»Er hat ihm eine Nachricht geschickt, dass er nicht mehr zu kommen braucht. Der Tod unseres Vaters hat Ludwig völlig aus der Bahn geworfen. Er glaubt, es sei ein Zeichen Gottes dafür gewesen, dass unser Glaube falsch sei«, erwiderte Heinrich Raspe. »Den Ring hier«, er tippte auf den Silberreif, »wollte er ins Feuer werfen. Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten. Bestürmt hat er mich, dass ich seinem Beispiel folgen und wieder den schändlichen Priestern von Rom huldigen soll.«
Hermann von Schlotheim fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Das durfte doch nicht wahr sein! »Und jetzt will er uns alle vom Hals haben?«
Heinrich nickte. »Ich fürchte, so ist es. Er will sich auf Dauer nicht mehr mit Ketzern umgeben, hat er gesagt. Ihr müsst damit rechnen, dass er euch früher oder später die Hofämter nimmt.«
Der Truchsess kniff die Augen zusammen. »Und du, Heinrich Raspe? Was ist mit dir?«
»Habt ihr euch nicht schon gefragt, warum Ludwig mich noch nicht an der Regierung beteiligt hat? So, wie es in der Familie seit jeher Brauch war?«
Hermann von Schlotheim blies die Backen auf. »Natürlich haben wir uns gewundert. Aber wir dachten, es liegt vielleicht daran, dass ihr beide euch noch nie recht gut verstanden habt.«
»Jetzt wisst ihr, warum«, knurrte Heinrich Raspe. »Nicht einmal Hessen gibt er mir.«
»Das ist nicht recht«, erwiderte der Truchsess. »Als Fürst muss er die Herrschaftstradition im Land achten. Das darfst du dir nicht gefallen lassen.«
»Ach, und was soll ich dagegen machen?« Heinrichs Kiefer mahlten. »Alleine kann ich nichts tun.«
»Und wenn du Unterstützung bekämst?«
Der Blick des Landgrafenbruders wurde lauernd. Genau deshalb hatte er mit dem Schlotheimer reden wollen. »Das wäre etwas anderes«, meinte er.
Hermann von Schlotheim straffte den Rücken. »Auf mich kannst du zählen.«
»Das reicht nicht.« Heinrich schüttelte den Kopf.
»Ich werde mit ein paar anderen reden.«
Heinrich Raspe tat so, als überlegte er. »Ich weiß nicht …«
»Glaubst du, wir wollen einfach so tatenlos abwarten, bis er uns von der Macht ausschließt und auf unsere Burgen zurückschickt?« Der Schlotheimer ballte die Fäuste. »Wir haben Thüringen beherrscht, zusammen mit deinem Vater! Das lassen wir uns nicht nehmen.«
»Gut«, lenkte Heinrich Raspe ein. »Sprich mit den anderen. Aber sei vorsichtig. Du weißt nicht, wer von ihnen im Zweifelsfall zu uns hält. Wir dürfen keinen Fehler machen. Und wir dürfen nichts überstürzen.«
Der Schlotheimer nickte. »Lass mich nur machen, mein Junge.«
Heinrich lächelte. »Ich danke dir.«
Sie reichten sich die Hände, es war, als ob sie einen Bund besiegelten. Dann gingen sie auseinander.
Heinrich verließ zufrieden den Palas. Er schlenderte an der Zisterne vorbei, verschränkte die Arme auf der Mauerbrüstung und sah übers weite Land. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die Wälder um Eisenach in rötliches Abendlicht. Der Bruder des Landgrafen ließ seinen Blick über die grünbewachsenen Hügel schweifen. Dies alles wollte er einmal besitzen, er ganz allein.
Die Zeit wird kommen, dachte er. Die Zeit wird kommen.
Gisa
J emand hätte die Hühner-Els sehen müssen! Was sie für ein Gesicht machte, als ich ihr sagte, ich bräuchte ein schönes Stück Bibergeil! Aber die gute Seele ging gleich am nächsten Tag hinunter in die Stadt und kaufte das Gewünschte. Sie ahnte nie, für wen sie das schwarzverschrumpelte Klümpchen Fleisch besorgt hatte, und Elisabeth und ich lachten noch Jahre später über unsere kleine Verschwörung. Mein guter Ruf bei der Hühner-Els war allerdings für immer dahin.
Ich freute mich den ganzen Sommer an Elisabeths und Ludwigs Glück. Von jener Juninacht an waren sie ein Liebespaar, wie es Herr Walther nicht hätte schöner besingen können. Keine Nacht schlief Elisabeth mehr in ihrer eigenen Schlafkammer. Guda und ich zogen in eines der Vorzimmer des landgräflichen Schlafgemachs, um nachts für unsere Herrin da sein zu können, und oft war nicht zu überhören, was die beiden miteinander taten. Guda war jedes Mal peinlich berührt und stopfte sich kleine Stofffetzen in die Ohren, während ich
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