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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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er auf einem Grauschimmel durchs Tor, das unvermeidliche Lied auf den Lippen: »Von der Elbe bis zum Rhein, von der Donau bis zum Po kenn ich ein jedes Land …« Diese klare, hohe Stimme hätte ich auch blind erkannt: Es war Herr Neithard vom Reuental. Seine geliebte Leier baumelte in einem ledernen Futteral am Sattel. Alle wussten, dass er den Herzog von Österreich auf dem Kreuzzug begleitet hatte; nun war er ganz offensichtlich wieder daheim. Ich hatte den frechen Kerl mit den fröhlichen Liedern immer gern gehabt und war so glücklich, ihn zu sehen, dass ich ihm ganz undamenhaft über den Hof entgegenrannte. Er war sichtlich gealtert, aber aus seinen Augen blitzte noch immer der Schalk, so wie früher. »Guter Herr Neithart«, rief ich, »Ihr seid zurück, wie wunderbar!«
    »Nur die Sehnsucht nach Eurer blonden Schönheit, liebwerte Jungfer Gislind, hat mich von Outremer hierhergeführt«, flötete er zurück. »Ihr wart und seid die Einzige, die in meinem Herzen wohnt!«
    Ich lachte und hielt ihm den Krug zum Begrüßungstrunk hin. »Lügt nicht, mein Ritter! Euch war doch schon immer jede recht, die Euch nicht gleich mit allen zehn Fingern ins Gesicht gefahren ist!«
    Beleidigt schob er die Unterlippe vor. »Ihr seid eine Spielverderberin, meine Hübsche. Aber nur zu, macht Euch nur lustig über den armen fahrenden Reimeschmied, er streckt ergeben die Waffen vor Eurem Liebreiz.« Dann stieg er ab, nahm die Kruke und tat einen kräftigen Schluck. »Aaaah«, machte er und wischte sich über den Mund, »nichts schmeckt so gut wie das Wasser in der Heimat, gereicht von einer freundlichen Maid.«
    »Es ist nur Zisternenwasser«, gab ich zurück. »Die Esel sind mit ihren Fässern noch unten an der Quelle.«
    »Verglichen mit den trüben Wassern des Nils, ist das hier ein Göttertrank, Jungfer Gislind«, lachte er. »Das dürft Ihr einem heimgekehrten Kreuzfahrer glauben.«
    Und dann stellte ich die Frage, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte: »Herr Neithart, wisst Ihr etwas über Raimund von Kaulberg? Habt Ihr ihn getroffen? Geht es ihm gut?«
    Sein Blick wurde dunkel, ich sah es sofort. Ich wollte gar nicht mehr hören, was er zu sagen hatte, aber seine Worte drangen unbarmherzig an meine Ohren.
    »Ja, ich habe ihn getroffen, mehrmals. Einmal haben wir sogar Seite an Seite gefochten, und ein großer Kämpfer war er, meiner Treu! Aber dann hab ich ihn aus den Augen verloren, damals, als wir Damietta verließen und uns in die verfluchten Überschwemmungsauen des Nils wagten. Wir haben die Schlacht verloren, Gott sei’s geklagt, es war ein Grauen, wie ich es nur selten erlebt. Mir gelang es, mich verwundet in ein Schilfdickicht zu retten, ganz unritterlich, ich geb es gerne zu. Ein Krokodil näherte sich, o heilige Not, und riss sein grässliches Maul auf, um mich zu fressen. Mein Mut sank, doch ich gab nicht auf. Wie würden all die schönen Jungfrauen daheim trauern, dachte ich mir, wenn sie erführen, ihr glühendster Verehrer sei im Bauch eines schwimmenden Drachens gelandet wie Jonas im Wal? So rammte ich dem Krokodil mit letzter Kraft mein Schwert in den schuppigen Leib. Oh, wie brüllte das Vieh, warf sich noch mit letzter Kraft auf mich …«
    »Und Herr Raimund?«, fiel ich ihm ins Wort. Mir war mitten in der Morgensonne kalt.
    Der von Reuental sah mich missbilligend an, weil ich seine schöne Geschichte unterbrochen hatte. Dann fiel ihm wieder ein, was er eigentlich hatte sagen wollen. »Ach, natürlich, ja, nach ihm hattet ihr ja gefragt. Nun, als sich alle Überlebenden nach der Schlacht sammelten, fehlte er. Jemand erzählte später, er habe den Kaulberger fallen sehen, gleich hinter dem letzten Damm. Welch unersetzlicher Verlust für uns alle!«
    Ich wandte mich ab, damit er meine Tränen nicht sah. Sagen konnte ich nichts mehr, mir war alles wie zugeschnürt. Es war, als hätte man mir ein Messer ins Herz gestoßen. Herr Neithart merkte, wie nah mir seine Nachricht ging, und legte mir den Arm um die Schulter. »Er hat für seine Schuld gesühnt«, sagte er ernst. »Und er darf nun Gott in seiner ganzen Pracht schauen, so wie all die anderen toten Helden von Damietta. Ein ehrenvollerer Tod als der im Zeichen des Kreuzes ist niemandem vergönnt. Grämt Euch nicht.«
    Er nahm mich in die Arme, und ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich weinte um meine erste große Liebe, darum, dass sie nun nie mehr in Erfüllung gehen würde. Wie hätte ich denn auch ahnen sollen, dass die

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