Die Tore nach Thulien, Buch I: Dunkle Gassen: Wilderland (German Edition)
in die Waagschale werfen. Alles oder Nichts, sonst würde sie zum ersten Mal in ihrem Leben als Verlierer aus dem Kampf gehen. Und was das bedeutete, war ihr bewusst.
Plötzlich ging für den Bruchteil einer Sekunde ein Ruck durch ihren Gegner. Instinktiv drehte sie sich zur Seite und konnte den Luftzug spüren, den der wie rasend heranwirbelnde Wurfstern hinter sich herzog. Mit einem dumpfen Schlag bohrte er sich irgendwo hinter ihr in die Wand.
Nicht schlecht. Wie hast du das gemacht? Shachin verlagerte ihr Gewicht und wechselte die Richtung. In einer fließenden, tausendmal geübten Bewegung griff sie nach dem Dolch, und für ein ungeübtes Auge flog er ihr geradezu in die Hand. Ihr Gegenüber schien von dieser Vorstellung nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Auch er wechselte wieder die Richtung.
Auf diesen Moment hatte sie gewartet. Mit einer katzengleichen Bewegung sprang sie nach vorne und stieß sich dabei seitlich von der Wand ab. Ihr Dolch vollführte eine halbe Drehung. Die Luft sirrte. Der Stoß zielte auf sein Herz und sie war sich sicher zu treffen, doch plötzlich glitt Metall von Metall ab. Funken sprühten. Wie hatte er es so schnell geschafft, den Dolch zwischen sich und ihre Klinge zu bringen?
Er ist nicht nur sehr gut, er ist unglaublich! , korrigierte sie sich in Gedanken und fing ihren Schwung ab. Sofort wirbelte sie herum und erkannte einen weiteren Dolch in seiner anderen Hand. Ganz langsam nahm er ihn herunter. Shachins Augen folgten der Bewegung und im nächsten Moment explodierte ihr Gegenüber förmlich. Von einer Sekunde auf die andere war er heran und ein wahrer Schlaghagel, ein Leuchtfeuer aus blitzenden Klingen und Schneiden, ging auf sie herab. Sofort hatte sie Schwierigkeiten. Ihre bisher vom Sachverstand geführten Bewegungen gingen in rein instinktive Reaktionen über. Immer wieder hieb er auf sie ein, und von Sekunde zu Sekunde hatte sie es schwerer, die Schläge gebührend zu empfangen. Sie kamen von oben, von unten und von den Seiten. Lange, das wusste sie, würde sie das nicht durchhalten.
Shachin wehrte sich so gut sie konnte. Ab und an gelang es ihr sogar, einen Konterangriff anzusetzen und auch wenn dieser meistens nicht sonderlich erfolgreich war, so verschaffte sie sich Luft damit. Es war ein Tanz, ein Spiel und die Rollen waren klar verteilt. Beide wussten, was sie taten, beide verstanden es, mit ihren Klingen umzugehen, doch war der gefährliche Fremde klar im Vorteil. Er war ein Meister seines Faches, einer, zu dem selbst die Könner ihrer Branche aufschauten.
Shachin musste diesen Kampf so schnell wie möglich beenden, wenn sie überleben wollte. Ein Sieg war hier und jetzt ausgeschlossen, sofern ihr Gegenüber keinen Fehler beging und das konnte sie, nach dem bisher Gesehenen, ausschließen. Schon wieder griff er an. Mit einer Schlagkombination, die Tränen der Herrin genannt wurde, versuchte er sie nun außer Gefecht zu setzen. Das Ende sollte nicht tödlich sein, lediglich ihre Kampfkraft stark verringern. Glück für Shachin, dass sie die richtige Antwort darauf kannte. Wieder sprühten Funken und rutschten Klingen aneinander ab. Geschickt drehte sie sich anschließend um ihre eigene Achse und gleichzeitig eine viertel Drehung um ihren Gegner herum. Sie wollte versuchen ein Ende der Gasse in den Rücken zu bekommen und mit dieser Aktion gelang ihr das auch.
Langsam zog sie sich anschließend zurück. Schritt für Schritt, stets abwehrend und parierend. Zu eigenen Angriffen war sie kaum noch in der Lage. Ihrem Gegner entging ihre Absicht nicht. Immer wieder versuchte er seitlich an ihr vorbeizukommen, um sie anschließend wieder in die Mitte der Gasse drängen zu können, doch Shachin konnte das bisher erfolgreich verhindern. Wie lange noch wusste sie nicht, doch die Tatsache, dass ihr Leben davon abhing, verlieh ihr eine ungeahnte Beweglichkeit.
Der Kampf verlangsamte sich etwas und Shachin fasste neuen Mut. Scheinbar waren seine Kräfte auch nicht unerschöpflich. Den Dolch stets in der Wacht des Falken , einer für sie typischen Abwehrtechnik, haltend, ging sie Schritt um Schritt in Richtung Ende der Gasse. Mit der anderen Hand tastete sie sich an der Häuserwand entlang. Plötzlich traf sie auf etwas kaltes, metallisches, mit spitzen Zacken an den Enden. Der Wurfstern , durchfuhr es sie. Sie hielt einen Moment inne und es gelang ihr, unbemerkt den Stern aus der trockenen, porösen und mit Lehm verputzten Strohwand zu ziehen. Dieser alten Bauweise würde
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