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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Rede verlor sich Coleridges abbittender Ton, und er begann desto selbstsicherer zu sprechen, je mehr er sich für sein Thema erwärmte. Doyle sah sich verstohlen um. Der Fremde mit dem Notizbuch kritzelte geschäftig in einer Art Kurzschrift, und Doyle begriff, daß es der Schulmeister sein mußte, den Darrow am vergangenen Abend erwähnt hatte.
    Neiderfüllt blickte er auf das Notizbuch; wenn mir das Glück hold ist, dachte er, wird es mir vielleicht gelingen, dieses Buch in hundertsiebzig Jahren in die Hände zu bekommen. Der Mann sah auf und begegnete Doyles Blick, und lächelte ihm zu. Doyle nickte und blickte schnell weg. Guck keine Löcher in die Luft, dachte er wütend - schreib weiter!
    Die Thibodeaus sahen Coleridge unverwandt aus halbgeschlossenen Augen an und zuerst befürchtete Doyle, das alte Ehepaar sei eingenickt; dann erkannte er die intensive Konzentration in ihren ausdruckslosen Mienen, und ihm wurde klar, daß sie sich den Vortrag so vollständig einprägten wie es kein Tonbandgerät besser hätte tun können.
    Darrow betrachtete den Dichter mit einem stillen, erfreuten Lächeln, und Doyle vermutete, daß er dem Vortrag nicht einmal zuhörte, sondern einfach froh war, daß das Publikum mit der Show zufrieden schien.
    Benner starrte auf seine Hände nieder, als sei dies nur ein Zwischenspiel, eine Ruhepause vor einer gewaltigen Anstrengung. Doyle fragte sich, ob er sich wegen der Rückfahrt durch dieses Slumgebiet Sorgen machte; auf der Herfahrt hatte er freilich nicht sehr besorgt ausgesehen.
    »Somit reduziert Milton die Frage auf eine Sache des Glaubens«, sagte Coleridge abschließend. »Eine Art von Glauben, der allerdings unabhängiger, autonomer und tatsächlich kraftvoller war, als die Puritaner es wirklich wollten. Der Glaube, so sagt er uns, ist keine exotische Blume, mühevoll erhalten durch den Ausschluß der meisten Aspekte der alltäglichen Welt, keine nützliche Selbsttäuschung, die wie der Kinderglaube an den Weihnachtsmann durch Spitzfindigkeit und Halbwahrheiten gestützt werden muß - kurz gesagt, kein klug vernachlässigtes Anhängen an einem konstruierten Glaubensbekenntnis; sondern muß, wenn er überhaupt zu etwas taugen soll, ein klarsichtiges Erkennen der Muster und Tendenzen sein, die in jedem Stück des Weltgewebes, das nichts anderes ist als die Gesichtszüge Gottes, zu finden sind. Aus diesem Grund kann Religion nur Rat und Erklärung sein und darf keinerlei Zwang enthalten - denn nur Glaube und Verhalten, zu denen man unabhängig gelangt und die dann freiwillig gewählt werden, können gelobt oder getadelt werden. Da dies so ist, kann man es als eine verbrecherische Beschränkung der Rechte eines Menschen sehen, wenn er absichtlich in Unkenntnis irgendwelcher Tatsachen oder Meinungen gehalten wird. Kein Stück kann als unzulässig beurteilt werden, denn je mehr Steine, helle wie dunkle, dem Mosaik hinzugefügt werden, desto klarer ist unser Bild von Gott.«
    Er hielt inne und überblickte sein Publikum, dann sagte er: »Ich danke Ihnen« und setzte sich. »Gibt es irgendwelche Fragen oder weitere Ausführungen oder abweichende Meinungen?« Sobald das Feuer seiner Rede erloschen war, wurde er wieder der dickliche, bescheidene alte Mann, dem sie in der Eingangshalle begegnet waren; während des Vertrags war er eine eindrucksvollere Gestalt gewesen. Percy Thibodeau beschuldigte Coleridge freundlich, seine eigenen Überzeugungen in Miltons Essay hineingelesen zu haben und zitierte zur Unterstützung einige seiner eigenen Essays, und der offensichtlich geschmeichelte Dichter antwortete ausführlich und wies auf die vielen Punkte hin, in denen er mit Milton nicht übereinstimmte. »Doch wenn ich mich mit einem Mann von Miltons Statur beschäftige«, sagte er mit einem Lächeln, »verleitet mich die Eitelkeit, bei den Meinungen zu verweilen, die ich mit ihm teile.«
    Darrow fischte eine Uhr aus seiner Westentasche, warf einen Blick darauf und erhob sich. »Ich fürchte, unsere Gesellschaft wird sich jetzt auf den Weg machen müssen«, sagte er. »Die Zeit und die Gezeiten warten auf keinen Menschen, und wir haben eine lange Reise vor uns.«
    Stühle wurden geräuschvoll gerückt, und die Zuhörer standen auf und zogen umständlich ihre Mäntel an. Fast alle, auch Doyle, ließen es sich angelegen sein, Coleridge die Hand zu schütteln, und Percy Thibodeau küßte ihn auf die Wange. »Ihre Sara könnte kaum Einwände gegen einen Kuß von einer Frau meines Alters machen«, sagte

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