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Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Sykes
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baumelnden Gefangenen hob. Er nahm eines der
dicken Beine des Klippenaffen und rieb es nachdenklich zwischen zwei Krallen seiner Klaue.
    »Und so gewähre ich heute zwei Gaben«, fuhr der Dämon fort, während er eine gigantische schwarze Pupille auf Lenk gerichtet hielt. »Dir, dem Tauben, gewähre ich das Geschenk des Hörens.« Mit einem fetten, schmatzenden Geräusch drehte das Auge sich zu dem Piraten herum. »Und dir, dem Irregeleiteten, biete ich diese Gabe …«
    »Nein!«
    Diesmal sprach Lenk lauter, aber ohne Überzeugung. Seine Stimme war kaum mehr als ein kleiner Kiesel, der von einem schwachen Handgelenk geschleudert wurde. Ein solches Geschoss prallte von der ledernen Haut des Abysmyth unbeachtet und ungehört ab.
    »Denn kein Gott, den du zu kennen behauptest, hat dir jemals eine solch erhabene Weisheit geschenkt.« Gegen das Geräusch, mit dem das Bein aus seinem Gelenk gerissen wurde, einem Geräusch, als würde Papier reißen und Fleisch auf eine flache Fläche klatschen, klang der Schrei des Klippenaffen nur wie ein Wimmern. »Wo sind sie jetzt, mein Sohn? Hören sie dich, selbst wenn du schreist? Sie anflehst?«
    Es schüttelte den Kopf in spöttischer Verzweiflung. Dann rollte es das Bein zwischen den Krallen wie eine Blüte, bevor es den Omen das Glied zuwarf.
    »Sie hören dich nicht. Ich höre dich leiden, mein Sohn, so wie es die Abgründige Mutter tut.« Seine Augen leuchteten auf. »Ulbecetonth hört. Ulbecetonth gewährt dir diese Gnade.«
    Mit einer Sanftheit, die nicht zu ihrer Größe zu passen schien, umschloss die Kreatur den Kopf des Mannes mit der Klaue. Sie schien ihn zu wiegen, als wäre er eine überreife Frucht voller Saft. In der Spanne eines kurzen Stöhnens schlossen sich die Krallen der Kreatur über dem Schädel des Mannes, während sie die letzten Worte hervorstieß.
    »Durch mich.«
    Lenk konnte bei dem Anblick keinen Ton hervorbringen. Der Arm des Abysmyth zuckte, wurde steif, und die Krallen drangen tief in das Fleisch ein. Zäher, widerlicher Schleim sickerte aus seiner Handfläche. Er glitt mit einer quälenden Langsamkeit hinauf, als wäre er ein lebendiges Wesen, überzog das Gesicht des Mannes mit grüngrauen Tentakeln, drang in Nase, Mund und Ohren ein, bis der ganze Kopf nur noch ein Brocken feuchten, glitzernden Schleims war.
    »Ruhe nun.«
    Das Abysmyth legte den Klippenaffen mit einer fast ehrfürchtigen Sorgfalt vor sich auf den Strand und starrte den Leichnam mit Augen an, die in ihrer gefühllosen Leere zu versuchen schienen, Mitleid auszudrücken. Wie als Reaktion darauf pulsierte der Schleim einmal wie ein dickes, schleimiges Herz, bevor er vom Gesicht des Mannes glitt und sich unter seinem Hinterkopf sammelte.
    Es war der Ausdruck auf dem Gesicht des Toten, der Lenk zusammenbrechen ließ. Er fiel auf die Knie, nicht mit einem Schrei, sondern mit schlaffem Kiefer und brennenden Augen, die sich nicht von dem Anblick des Klippenaffen losreißen konnten. Er war zerstückelt, gefoltert und ertränkt worden, und dennoch zeigte die Miene des Leichnams keinerlei Furcht, keine Wut, nichts von dem, was der junge Mann im Angesicht des Todes darauf gesehen hatte.
    Von dem glatten Sand, unter dem Schatten eines Baumes, der in einer leichten Brise schwankte, starrte der Klippenaffe mit geschlossenen Augen in den endlos blauen Himmel, den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht.
    »Das ist der Klang, an den ich mich erinnere«, gurgelte das Abysmyth glücklich und gnadenlos. »Der Klang der Barmherzigkeit.« Es fuhr mit seiner gigantischen Hand über das Gesicht des Mannes, eine Geste des Segnens mit schwarzen Krallen. »Und auch dir, mein Sohn, gewährt Sie die Gabe des ruhigen Vergessens, durch uns, Ihre Kinder.«
    »Endlos ist die Barmherzigkeit der Abgründigen Mutter«, schnatterten die Omen im Chor.
    »Barmherzigkeit?«
    Lenks Stimme klang in der Stille blasphemisch, hallte laut unter dem leeren Himmel. Langsam erhob er sich aus dem Sand. Er war stocksteif und zitterte gleichzeitig am ganzen Körper, umhüllt von einer Kälte, die die Sonne nicht vertreiben konnte.
    Seine Frage verklang nicht ungehört. Die Omen hielten mitten in ihrem Festmahl inne, blickten hoch, rosa und schwarze Brocken zwischen den Zähnen, und ihre hervorstehenden Augen zitterten sacht. Das Abysmyth hob den gewaltigen Schädel und sah Lenk mit weißen Augen an.
    Zwei blaue Augen starrten zurück.
    »Barmherzigkeit hat einen Sinn.« Lenk hörte, wie die Worte aus seinem Mund kamen; es war

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