Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
nicht die Stimme in seinem Verstand. »Du dagegen nicht«, das letzte Wort schoss wie ein Speer von seinen Lippen, »Missgeburt.«
Er trat einen Schritt vor, und die Omen flatterten auf, wirkten wie weiße Laken im Wind, als sie sich in die Sicherheit des Baumes flüchteten. Hinter dem Schleier aus Blättern leuchteten ihre runden Augen, beobachtend, starr und entsetzt.
Das Abysmyth empfand nichts dergleichen.
»Was weiß ein Sterblicher von Sinn, von Bestimmung?« Es erhob sich und machte ebenfalls einen Schritt, wobei sein mit Schwimmhäuten versehener Fuß ein donnerndes Geräusch erzeugte. »Als ein flüchtiges Licht an einem kalten, dunklen Ort, flackernd und dann für immer ausgelöscht, ist deine Bestimmung allein, Ihre unendliche Barmherzigkeit zu empfangen.« Es trat aus dem Schatten, eine Beleidigung für Himmel und Sand. »Dein Daseinszweck ist es, Sie zu hören.«
»Unser Daseinszweck«, Lenk verspürte den Drang, bei diesem Wort innezuhalten, sprach aber dennoch weiter, »beginnt mit dir.« Er hob sein Schwert und richtete es auf die Monstrosität. »Wo ist die Fibel?«
»Fibel? FIBEL? « Das Abysmyth heulte auf und kratzte sich
den Kopf mit den Krallen, als würde das Wort allein ihm Schmerzen bereiten. »Das Buch ist nicht für dich gedacht, mein Sohn! Sein Wissen verdirbt und verdammt! Ich werde dich nicht diesem Schicksal ausliefern, nach allem, was ich deinetwegen durchlitten habe.« Es stampfte trotzig auf. »Niemals!«
Erst als es ins Sonnenlicht getreten war, wurde das Ausmaß seiner Qualen deutlich. Seine Wunden pulsierten in seiner Wut, der widerliche grüne Ausfluss fraß an seinem Fleisch, grub tiefe Furchen in seine Haut und legte weiße Knochen und Innereien frei, die an zerquetschte Flecken von dunklem Moos erinnerten.
»Du siehst«, es krächzte fast, als es sah, wie sich Lenks Augen weiteten, »das ist der Preis, den wir, Ihre Kinder, euretwegen zahlten!« Es schüttelte den Kopf. »Die Langgesichter, diese purpurhäutigen Abtrünnigen, wollten nicht auf uns hören, auf SIE! Sie wollten nicht hören! Wir haben versucht, sie zu zwingen, doch was hat es bewirkt?« Es deutete auf seine verletzte Brust. »Verachtung! Unreinheit! Sie haben uns Hirten mit einer Seuche geschlagen, und jetzt sagst du, die ganze Herde wäre bereits mit der Krankheit verseucht? Das werde ich nicht akzeptieren!«
Das Brüllen der Kreatur hallte in Lenks Ohren, und in seinem Hirn wiederholte sich immer dasselbe Wort: wir, wir, wir. Es gab also noch mehr von ihnen, mehr Abysmyths, mehr verfluchte Kreaturen mit scharfen Zähnen und glitzerndem Schleim.
Die Worte hätten ihn eigentlich entsetzen sollen. Er hätte fliehen, die anderen suchen und von der Insel flüchten sollen. Diese Gedanken glommen wie kleine Kerzen in seinem Kopf, wurden erstickt und ausgelöscht von der Stimme, die das Heulen der Kreatur mit ihrer hallenden Präsenz verstummen ließ.
»Du gehörst nicht hierher!«, sprach es aus ihm. »Du wurdest ausgestoßen, in die Hölle verbannt!«
Die Kreatur grinste. Es war kein echtes Grinsen, und Lenk
hielt es auch nicht dafür. Der Ausdruck schien ihr Schmerzen zu bereiten, und der Rand ihres Gesichts schien zu zerspringen. Ihre Mundwinkel rissen vor lauter Anstrengung auf. Trotzdem, sie grinste und antwortete.
»Wir kommen zurück.«
Dann verschwand das Grinsen, und Lenk blickte in ein riesiges schwarzes Gesicht, das von ausdruckslosen Augen dominiert wurde. Die Kreatur neigte den Kopf nach rechts, als würde sie ihn zum ersten Mal genauer betrachten.
»Guten Tag«, stieß sie hervor.
Dann neigte sie den Kopf nach links.
»Ich …«, sie klang beinahe sinnend, »will, dass du jetzt stirbst.«
»Lebendige Riffid!«, flüsterte Kataria atemlos.
Es gab nur sehr wenige Gelegenheiten, abgesehen von offenem Krieg, bei dem es akzeptabel war, den Namen der shictischen Göttin auszusprechen. Tägliche Gebete und Flüche waren etwas für schwächere Götter und schwächere Spezies; die Shict waren von Geburt an mit allen Instinkten ausgestattet, die sie benötigten. Aber wenn die Feindin aller Kou’ru das Massaker auf dem Strand mit Katarias Augen hätte sehen können, hätte die Göttin ihr diesen Ausbruch schwerlich übel genommen.
Der zweifellos normalerweise makellose weiße Sand, der sich nicht von einer anderen Stelle des Strandes unterschieden hätte, lag jetzt verborgen unter wogenden Laken aus Grau und Weiß. Sie trat auf die Fläche und hielt sich die Nase zu, als ein starker Geruch
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