Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
Drachenmann nicht gehorchte. Lenk ließ nicht zu, ob aus innerer Disziplin oder blanker Furcht, dass dieser Zorn über seine Lippen drang. Aber er wich Gariaths Blick weder aus, noch gab er nach.
Es war Lenk gleichgültig, warum der Drachenmann schließlich an die Kette trat. Er beobachtete währenddessen die Belagerungsmaschine an Deck des Piratenschiffs. Erneut fiel sein Blick auf den Schatten, den Mann mit dem knochigen Schädel, der zwischen den Piraten wie ein deplatziertes Gespenst wirkte. Erneut erwiderte der Mann Lenks Blick, und wieder lächelte er.
Gariath packte mit seinen Pranken den krallenförmigen Kopf der Mutterkette. Schnaubend schüttelte er ihn einmal, woraufhin sich ein verbrannter Leichnam aus den Kettengliedern löste und die Piraten, die immer noch versuchten, ihren Fuß daraufzusetzen, herunterfielen. Lenk beobachtete das Schauspiel aus zusammengekniffenen Augen und mit leerem Hirn.
Gariath grunzte und spannte die Muskeln an. Holz knackte, als er an der Kralle zog.
Der Schattenmann hob eine Hand und winkte.
»Nein.«
Seeleute drängten sich an die Reling der Gischtbraut und brüllten ihren schweigsamen Feinden wüste Beschimpfungen zu.
Zwei Piraten traten an die Maschine und zogen an einem Seil.
»Nein!«
Gariaths Schwingen entfalteten sich wie große Segel, und ein Schauer von Splittern flog mit dem Wind davon, als er
die Kralle des Kettenkopfs löste. Mit einem lauten eisernen Jammern versank die Mutterkette im Meer, gefolgt von ihren kleinen, klirrend kreischenden Gliederkindern, während die Gischtbraut den Wind in ihren Segeln fing und sich von ihrem Häscher löste.
Männer jubelten. Denaos und Kataria kicherten bösartig über den Sieg. Dreadaeleon rang sich ein Lächeln ab und sah zu Asper hinüber, die sich zu einem erleichterten Seufzer hinreißen ließ. Gariath schnaubte verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Lenk jedoch stimmte noch nicht in den Jubel ein, nicht, solange seine Ohren vollkommen auf ein bestimmtes Geräusch gerichtet waren.
Die Belagerungsmaschine erwachte zum Leben, ohne Felsbrocken, Speere oder Pfeile zu schleudern. Sie bewegte sich auf ihren hölzernen Rädern, ein eisernes Monstrum aus Dornen und Klingen, das vor und zurück schwang. Sie sang.
Ihrem Aussehen nach zu urteilen war es eine Kirchenglocke, aber ihre Form war zu missgestaltet, als dass sie einem göttlichen Zweck hätte dienen können. Ihr Chorus war kein hallendes, monotones Dröhnen, sondern ein Geräusch aus vielen Stimmen, die in einer schrecklichen, misstönenden Dissonanz sangen.
Ein lauter Schrei prallte gegen ein Stöhnen, dröhnendes Gelächter kratzte über gequältes Weinen, ein sehnsüchtiger Seufzer ertönte neben einem brutalen Brüllen. Die Glocke sprach. Die Glocke sang. Und das Geräusch in Lenks Ohren wurde nicht leiser, nicht einmal, als die Kettenhexe vor seinen Augen immer kleiner wurde.
»Das war alles?«
Lenk drehte sich um und bemerkte die Verachtung in Gariaths Augen. Der Drachenmann blickte ihn an, die schuppigen Lippen zu einer Grimasse der Verachtung verzogen. Der junge Mann betrachtete ihn kalt und blendete das schreckliche Lied lange genug aus, um ihm einen ebenso verächtlichen Blick zuzuwerfen.
»Du musst immer jemanden töten, oder?«
»Ich habe kaum geblutet«, erwiderte Gariath.
»Und das … ist ein Problem, ja?«
Gariath betrachtete ihn einen Moment aufmerksam, bevor er schnaubte. Er drehte sich um und zwang Lenk, sich unter seinem peitschenden Schwanz zu ducken, der verächtlich hinter ihm herzuckte, als er über die Planken davonschritt.
»Ruf mich nicht mehr an Deck«, grollte er, »es sei denn, es soll wirklich Blut vergossen werden.«
»Man fragt sich«, versetzte Asper schneidend, als er an ihr vorbeiging, »wie viel Blut vergossen werden muss, bevor es ein wirkliches Blutvergießen genannt werden kann.«
Gariath würdigte sie keiner Antwort, ja, er schien sie nicht einmal wahrzunehmen, ebenso wenig wie die Leichen, die er unter seinen Füßen zermalmte. Was dazu führte, dass sich ihr Gesicht noch mehr verzerrte und sie hinter geschlossenen Lippen mit den Zähnen knirschte. Ihre Stimme vibrierte immer noch vor Zorn, als sie sich an Lenk wandte.
»Ich werde den Männern helfen, die Toten zu bergen. Jemand muss …« Sie zögerte, zuckte zusammen und schien dann ihren Zorn in einem langen, müden Seufzer auszuatmen, bevor sie dem jungen Mann so etwas wie ein Lächeln schenkte. »Wenigstens ist es vorbei, und wir sind
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