Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
unterbrach sich und starrte das Ruder an, als wäre es plötzlich etwas Fremdes für ihn. Es rührte sich nicht, selbst als er mit seinen dünnen dunkelhäutigen Fingern heftig daran zog. Das Ruder reagierte nicht. Es bewegte sich auch nicht, als er die Zähne zusammenbiss, die Beine spreizte und mit seiner Schulter dagegendrückte.
»Gottverfluchtes Stück…« Die Worte des Kapitäns gingen in einem wütenden Knurren unter, als er mit Leibeskräften gegen das Ruder drückte. »Beweg dich, du blödes Ding!« Sein Knurren steigerte sich zu einem Schrei. »Beweg dich!«
Das Ruder gehorchte.
Es wirbelte so schnell und so plötzlich herum, als wollte es den Kapitän auf die Planken schleudern; allerdings drehte es sich in die entgegengesetzte Richtung. Alle starrten das vom Teufel besessene Ruder entsetzt an, während es sich unaufhörlich drehte, erst in die eine, dann in die andere Richtung. Das Brausen des Meeres sank zu einem tiefen, verzweifelten Seufzen herab. Das Schiff schwankte und
wurde ruckartig langsamer, bis es nur noch zu kriechen schien.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, keuchte Argaol. »Etwas … etwas stimmt mit dem Ruder nicht.«
Lenk warf einen Blick auf das Heck des Schiffs. Ihm stockte der Atem, sodass er nicht einmal einen Fluch herausbrachte. Unter dem klaren Blau des Wassers hob sich gegen die weiße Gischt des Kielwassers deutlich etwas Schwarzes ab, eine tiefschwarze, formlose Schwärze, die sich wie ein Geschwür an das Heck der Gischtbraut klammerte.
»Was zum Teufel ist das?«, murmelte Sebast.
Lenk begriff erst nach einem Herzschlag, dass der Maat nicht den dunklen Fleck am Ruder meinte. Dann sah er Flecken fahler Haut im Wasser aufblitzen, die wie fleischige Pfeile auf die Gischtbraut zuschossen.
»Sind das … Menschen?«
Lenk blinzelte. Es waren tatsächlich Menschen. Haarlos und bis auf schwarze Lendenschurze vollkommen unbekleidet, schwamm diese kleine Gruppe von Männern mit beunruhigender Geschwindigkeit auf das Schiff zu. In Wolken schaumiger Gischt sprangen sie aus dem Wasser, die Arme gekreuzt, die Beine fest zusammengepresst, blitzten knochenweiß und schwarz auf, bevor sie wieder untertauchten, nur um Augenblicke später erneut an die Oberfläche zu kommen.
»Oh nein, nein, nein!« Das Knurren des Kapitäns war zu einem Wimmern herabgesunken, als er aufs Meer zeigte. »Nein, nein, nicht jetzt! Nicht ausgerechnet jetzt!«
Die Kettenhexe hatte mittlerweile den Abstand so schnell verringert, dass sie fast wie ein Schatten der Gischtbraut wirkte, eine hartnäckige Dunkelheit, die rasend schnell auf ihre Beute aufholte. Lenk konnte deutlich Gesichter, Tätowierungen und schartige Klingen erkennen. Mehr noch, er sah auch ihre Kette, deren gewaltige Glieder mit einem riesigen Spieß verbunden waren, der in einer Klaue endete und schussbereit auf der riesigen Speerschleuder lag.
»Darauf haben sie also gewartet…«, murmelte Lenk.
»Das ist nur deine Schuld!«
Er wirbelte herum, als er diese Beschuldigung hörte, und sah Argaol an, der die Augen weit aufgerissen und die Zähne fest zusammengebissen hatte.
»Meine Schuld?«
»Du und deine verdammten Blasphemien! Dein verfluchter Gott und dein verfluchtes Gewerbe! Du hast den verdammten Zorn der Götter auf mein Schiff gelenkt!«
»Was denn, du wimmerndes Stück…«
»ENTERER! WIR WERDEN ANGEGRIFFEN!«, hallte ein Ruf über das Deck.
»SCHON WIEDER!«, setzte jemand hinzu.
Argaols wütende Miene wich einem schockierten Ausdruck. »Also?«, fuhr er Lenk barsch an.
»Also was?«, gab Lenk giftig zurück.
»Mach, dass du da runterkommst!«
»Ihr habt mich gerade verflucht. Warum sollte ich tun, was Ihr sagt?«
»Weil du vom Lord Emissär bezahlt wirst, der Lord Emissär sich auf meinem Schiff befindet und mein Schiff gleichzeitig von Rashodds Klippenaffen und«, er verzog das Gesicht, als er nach einem passenden Wort suchte, »von einer Art Fischmänner angegriffen wird.«
»Von hier oben sehen sie eher wie Frösche aus, Kapitän«, meinte Sebast hilfreich.
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, erwiderte Lenk und strich über sein bartloses Kinn. Er hoffte, dass diese Gebärde ebenso wirkungsvoll war wie das Zupfen an einem Vollbart. »Und seid versichert, ich werde mich sofort an diese Aufgabe machen … nachdem Ihr gezahlt habt, selbstverständlich.«
Auf dem Gesicht des Kapitäns zeichneten sich Schock, Ärger und Ungläubigkeit ab, bevor es sich zu einem Ausdruck überraschter Bestürzung
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