Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
Zeit so gut wie niemals angeordnet.« Er rasierte das letzte Stück Schaum von seiner Kopfhaut und schlug es mit einer kurzen Handbewegung ins Bassin. »Falls die Bibliothekare diesem Ruf nicht folgen...«
»Bricht die Magie zusammen, werden die Gesetze nicht mehr befolgt, strömt das Blut über die Straßen, gibt es Hunde mit zwei Köpfen und Babys, die Feuer speien.« Sie seufzte dramatisch, ließ sich auf ihr Kissen fallen und fuchtelte mit der Hand über ihrem Kopf herum. »Und so weiter und so fort.«
Bralston warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, als sie sich ausstreckte und ihre Robe sich öffnete, sodass ihre nackte braune Haut darunter sichtbar wurde. Sie bemerkte durchaus, dass er die Brauen hob, ebenso wie sie seine Ignoranz registrierte, als er zu seinen Kleidern ging, die über einem Stuhl lagen. Beides löste keine Reaktion bei ihr aus, wohl aber der Seufzer, der sich ihm entrang, als er mit der Hand über seine Hose strich.
»Bist du dir meiner Pflichten gewahr, Anacha?«
Sie blinzelte, unsicher, wie sie antworten sollte. Nur sehr wenige Menschen wussten wirklich, woraus die »Pflichten« des Venarium bestanden. Waren jedoch ihre äußerlichen Aktivitäten ein Hinweis darauf, schienen die Aufgaben des Magierordens darin zu bestehen, sämtliche Handleser, Wahrsager und anderen Betrüger aufzuspüren und zu verhaften,
sowie besagte Scharlatane und ihre Spießgesellen zu verbrennen, zu versengen, in Eisblöcke zu verwandeln oder einfach zu zermalmen.
Über die Pflichten der Bibliothekare jedoch, ein Geheimnis im Geheimen Orden des Venarium, vermochte niemand auch nur eine Vermutung anzustellen, und ganz gewiss nicht sie. »Ich möchte meine Frage anders formulieren«, meinte Bralston, nachdem sich ihr Schweigen zu lange hingezogen hatte. »Bist du dir meiner Gabe bewusst?«
Er wandte sich ihr zu, und plötzlich strahlte rotes Licht in seinem Blick. Sie erstarrte. Sie hatte vor langer Zeit bereits gelernt, vor diesem Blick zu erzittern, ebenso wie die Scharlatane und Betrüger. Der böse Blick eines Magus neigte dazu, gefährlicher zu sein als der jedes anderen, wenn auch nur deshalb, weil ihm für gewöhnlich und recht unmittelbar ein höchst unschönes Ableben folgte.
»Das ist alles, was es ist: eine Gabe«, fuhr er fort, während die Flammen in seinen Augen loderten. »Und solche Gaben verlangen eine Gegenleistung. Dies hier«, er tippte mit einem Finger an seinen Augenwinkel, »ist uns nur gegeben, solange wir es respektieren und seinen Gesetzen Folge leisten. Und jetzt frage ich dich, Anacha, wann war Cier’Djaal zuletzt eine gesetzestreue Stadt?«
Sie antwortete nicht, weil sie wusste, dass keine Antwort vonnöten war. Sobald er erkannte, dass sie begriffen hatte, erloschen die Flammen. Der Mann, der sie jetzt anblickte, war nicht mehr derselbe, der in der Nacht zuvor zu ihr gekommen war. Sein braunes Gesicht war von eleganten Zügen gezeichnet, und seine geschwungenen Lippen waren für Worte und Anrufungen reserviert, nicht für Gedichte.
Anacha sah ihm zu, als er sich rasch ankleidete. Er stopfte das Hemd in die Hose und warf einen langen roten Mantel über sein Wams. Das Anlegen seines Gewandes war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er auf einen prüfenden Blick in den Spiegel verzichtete, als er zur Tür ging, um lautlos zu verschwinden.
Sie protestierte nicht, als er die Münzen auf ihre Kommode legte. Sie hatte ihm vor langer Zeit gesagt, dass er sie nicht mehr bezahlen musste. Sie hatte sogar versucht, ihm die Münzen zurückzugeben, als er ging. Sie hatte ihn angeschrien, ihn verflucht, ihn angefleht, die Münzen zu nehmen und wenigstens so zu tun, als wären sie Liebende, die im Mondlicht zusammengekommen waren, und nicht Hetäre und Besucher, die sich nur in dem klar definierten Bereich von Seide und Parfüm begegneten.
Er ließ die Münzen liegen und glitt aus der Tür.
Sie wusste, dass sie sich damit zufriedengeben musste, ihm nachzublicken. Sie musste mit ansehen, wie der Mann, den sie in der Nacht zuvor geliebt hatte, nur eine Mulde in ihrem Bett hinterließ. Von seiner Identität blieb nichts als ein schwacher Umriss aus Schweiß auf den Laken und ein Abdruck auf einem Kissen. Die Laken würden gewaschen, das Kissen würde geglättet werden. Bralston der Liebhaber würde in dem leisen Rascheln von Laken sterben.
Bralston der Bibliothekar würde seine Pflicht erfüllen, komme, was da wolle.
»Müsst Ihr das tun?«, erkundigte sich der Schreiber.
Bralston
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