Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
anrufe.«
»Aber das Kind wird doch sicherlich von einem Spezialisten behandelt«, gab Sören zu bedenken. »Von einem Kardiologen.«
»Aber nicht nur! Hier auf der Insel wird Ulla Andresen mit Saskia zu einem Kinderarzt gehen. Schließlich hat auch ein schwer krankes Kind mal Schnupfen oder Masern.«
»Und was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht?« Sören wartete Eriks Antwort nicht ab, sondern verließ mit dem Kaffeebecher in der Hand das Büro. »Mal sehen, was ich machen kann.«
Enno Mierendorf nahm ihm die Klinke aus der Hand. »Die Presse-Heinis wollten sich nicht mehr abwimmeln lassen!«
Erik sah ungehalten auf. »Halten Sie mir diese Typen vom Hals.«
Mierendorfs unglücklichem Gesicht war anzusehen, dass er das schon seit längerer Zeit versuchte. »Sie sagen, sie hätten ein Recht auf Information.«
Erik stöhnte. »Führen Sie die Herrschaften in den Konferenzraum. Meinetwegen können Sie ihnen auch Kaffee anbieten. Und nach einer Viertelstunde sagen Sie ihnen dann, ich musste plötzlich weg. Dringender Einsatz.«
Er lehnte sich zurück und starrte die gegenüberliegende Wand an. Es wurde wirklich Zeit, dass sein Büro einen neuen Anstrich bekam. Überall diese Schäbigkeit. Zerkratztes Mobiliar, abgetretener Fußboden und schmuddelige Wände. Wie hielt er es Tag für Tag hier aus? Früher hatte ihm Lucia gelegentlich eine neue Topfpflanze auf die Fensterbank gestellt, aber seit ihrem Tod welkte dort ein Kraut vor sich hin, das schon lange auf Erlösung von seinen Leiden wartete. Doch kurz vor seinem Ende fand sich immer wieder eine mitleidige Seele, die den Rest des Kaffee- oder Spülwassers in die Keramikschale goss und damit die Pflanze aus dem Koma holte.
Wenig später stand Sören wieder vor ihm. »Dr. Brakemeier in Westerland hat Saskia behandelt. Natürlich hat er sich erst mal auf die ärztliche Schweigepflicht berufen. Aber zum Glück wohnt seine Arzthelferin in der Nähe von mir. Manchmal rede ich ein paar Takte mit ihr, wenn ich sie treffe.« Sein Apfelgesicht überzog sich mit sanfter Röte. »Dr. Brakemeier war jedenfalls bereit zu bestätigen, dass die Kleine nur noch eine hauchdünne Chance in einer Herzklinik in Boston hat. Dort operiert man mit Methoden, die hierzulande nicht erlaubt sind.«
»Konnte er Ihnen sagen, was das kostet?«
Sören nickte. »Alles in allem fünfzigtausend Euro!«
Erik sah auf. »Somit reichen die vierzigtausend von Christa Kern gar nicht?«
Sören setzte ein Grinsen auf, das Erik sofort stutzig machte. »Wenn Dr. Brakemeier Recht hat, brauchte Andresen Christa Kerns Geld gar nicht.«
»Wie bitte?«
»Dr. Brakemeier sagt, dass Saskias Operation bereits in die Wege geleitet wird, weil Andresen in der Spielbank von Westerland viel Geld gewonnen hat. Ungefähr fünfzigtausend Euro! Ist das nicht ein seltsamer Zufall? Schon in wenigen Tagen wird Ulla Andresen mit Saskia nach Boston fliegen.«
12
Felix riss die Haustür auf, während Mamma Carlotta das Fahrrad abstellte. »Hast du’s geschafft, Nonna?«
Hinter ihm erschien Carolin, die eine Hand auf die Schulter ihres Bruders legte, damit er aufhörte, wie ein Gummiball herumzuspringen. »Nun lass die Nonna doch erst mal reinkommen.«
Felix wartete nur so lange, bis die Haustür sich geschlossen hatte. »Was ist? Arbeitest du jetzt bei Fisch-Andresen?«
»Certo, bambini!« Mamma Carlotta gab sich ein wenig großspurig. »Ich erzähle euch alles, während wir das Mittagessen zubereiten. Ich habe Fisch in der Tasche. Mehr, als wir auf einmal essen können.«
Sie ließ sich Zeit. Wie jeder Mensch, der gern erzählt, weidete sie sich an der Spannung, die sie bei ihren Zuhörern erzeugte. Während sie die Goldbrasse säuberte und würzte, begann sie ausführlich zu berichten und ließ sich nicht von Felix’ Ungeduld bedrängen. »Euer Vater wird den Mörder am Ende noch laufen lassen müssen, weil ihm die Beweise fehlen, oder ihm die Flucht ermöglichen, weil die Polizei zu lange zögert.« Sie schob die Goldbrasse in den Backofen und wandte sich wieder den Kindern zu, auf dem Gesicht ein zufriedenes Lächeln. »Aber ich werde von nun an ein Auge auf den Kerl haben! Und sicherlich finde ich weitere Beweise. Denn demnächst arbeitet Anna Rocchi bei ihm, eine Touristin, die sich auf Sylt langweilt.«
»Wow!« Felix ließ das Messer fallen, das Mamma Carlotta ihm in die Hand gedrückt hatte, damit er die Kartoffeln schälte. »Du wirst was aufschnappen, was Andresen überführt! Klaro!«
Mamma
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