Die Tote am Watt
haben!«
»Vielleicht hat es auf dem Tisch gelegen.«
Sören warf seinem Chef einen vorwurfsvollen Blick zu. »Kein Mensch legt vierzigtausend Euro auf den Tisch und lässt sie dort liegen, wenn der Fisch-Lieferant an der Tür klingelt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ausgeschlossen! Die beiden waren nicht befreundet. Im Gegenteil! Andresen konnte die Kern nicht ausstehen!« Sören schwieg eine Weile, dann ergänzte er versöhnlich: »Okay, wir können trotzdem Andresens Alibi überprüfen. Wenn er eins hat, brauchen wir uns über ihn keine Gedanken mehr zu machen.«
Erik sprach erst wieder, als sie in Wenningstedt ankamen. »Die Obduktion müsste endlich abgeschlossen sein. Vielleicht bringt sie uns neue Erkenntnisse. Ich hoffe, dass Dr. Hillmot sich bald meldet.«
Er hatte gerade den Blinker gesetzt, um links abzubiegen, als er eine Notbremsung einlegen musste. Die Westerlandstraße wurde zum Kriegsschauplatz. Die Tür des Lieferwagens, dessen Knautschzone ihrem Namen alle Ehre machte, sprang auf, und heraus stürmte ein Mann, der die Hilfsbereitschaft aller Augenzeugen schlagartig lähmte. Niemand wagte es, sich ihm entgegenzustellen, als er auf den silbergrauen Golf zusprang, dessen Fahrer ihm augenscheinlich die Vorfahrt genommen hatte. Als der Mann die Tür des Golfs öffnete und ein blondes langhaariges Wesen hinter dem Steuer wegzerrte, war klar, dass eine Frau den Unfall verursacht hatte. Das schien die Sache noch schlimmer zu machen.
»Weiber!«, hörte man den grobschlächtigen Kerl brüllen. »Bleibt in der Küche, wenn ihr nicht Auto fahren könnt!«
Die junge Frau gehörte eigentlich zu denen, der ein Mann mit Freude alles nachsieht, vorausgesetzt, sie lässt sich anschließend zu einem Drink einladen. Während der Mann sie schüttelte, als sollte ein Tausendeuroschein für die Reparatur seines Lieferwagens aus ihr herausfallen, fand sie eine Waffe, die der rohen Gewalt überlegen war: ihre Fingernägel. Der Mann ließ von ihr ab, fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, schien das Blut zu spüren und raste nun vor Wut. Mit zwei Schritten hatte er den Fluchtversuch der jungen Fahrerin vereitelt, griff erneut nach ihr und prügelte auf sie ein.
Erst jetzt kam Leben in die Passanten. Einige Männer sprangen zu, um der Frau zu Hilfe zu eilen.
»Tove rastet mal wieder aus!« Erik sprang aus dem Wagen.
Sören war schneller. »Polizei!«, schrie er, als könnte er damit Schlimmeres verhüten. »Polizei! Aus dem Weg!« Er rannte auf die beiden Kontrahenten zu, dicht gefolgt von Erik. »Polizei!«, schrie er immer wieder, als handle es sich um ein Zauberwort, das ausreichte, um aus Krieg Frieden und aus Chaos Ordnung zu machen.
Auf die junge Frau schien es zu wirken. Sie nahm ihren Abwehrkampf zurück und duckte sich, um nur noch den Schlägen auszuweichen, bis man sie von ihrem Angreifer befreit hatte.
Schließlich gelang es Erik und Sören, Tove Griess die Arme auf den Rücken zu drehen. Ein älterer Herr kümmerte sich unverzüglich um die blonde Fahrerin, und jemand schrie: »Ich habe schon den Notruf gewählt!« Zum Beweis hielt er sein Handy in die Höhe.
»Sind Sie verrückt geworden, Tove?«, stieß Erik hervor. »Wie kann man so ausrasten wegen eines Blechschadens?«
»Ich bringe sie um«, wiederholte Tove und machte einen Versuch, sich loszureißen. »Mein Lieferwagen! Ich brauche ihn täglich …«
Doch allmählich schien Tove zu begreifen, dass der Schaden an seinem Lieferwagen das geringste Problem in dieser Angelegenheit sein würde. Er schaffte sogar schon wieder ein Grinsen, das allerdings wie ein Zähnefletschen ausfiel. »Na, wollen Sie mich schon wieder einbuchten?«, fragte er Erik. »Herzlichen Glückwunsch! Da haben Sie ja wieder einen Grund gefunden, mich wegzuschließen. Nur los, Herr Hauptkommissar! Wo sind die Handschellen? Sie freuen sich doch immer, wenn Sie mich kleingekriegt haben!«
Als das Martinshorn erklang, lockerten Erik und Sören ihren Griff. Und als die beiden Uniformierten aus dem Streifenwagen sprangen, ließen sie Tove los.
»Die Kripo schon vor Ort?«, fragte der ältere der beiden Schutzpolizisten. »Gibt es etwa einen Toten?«
Erik versuchte ein Grinsen. »Es fehlte nicht viel«, gab er zurück. Dann überließ er den beiden Kollegen die Arbeit und winkte Sören zum Auto zurück. »Wir können später unseren Bericht schreiben.«
Kopfschüttelnd stiegen die beiden wieder ein. »Tove ist ein unverbesserlicher Hitzkopf«, schimpfte Erik. »Schon
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