Die Tote im Badehaus
verneinte.
Der Polizist beschloß, einen Wagen zu schicken, aber er teilte mir gleich mit, daß eine Verhaftung unwahrscheinlich sei, da es ja kein Verbrechen sei, nachts herumzulaufen. »Außer natürlich, wenn die Person bewaffnet ist – anders als in Ihrem Land sind Waffen bei uns nicht erlaubt!« sagte der Beamte beleidigt.
Ich legte auf und bat Richard, mir einen Tee zu kochen. Er gab mir statt dessen eine Dose Pocari Sweat und meinte, das isotonische Getränk würde mir bestimmt besser bekommen als Koffein. Aber ich wollte nicht schlafen.
Wir setzten uns bei abgeschaltetem Licht ans Fenster und hielten nach meinem Verfolger Ausschau. Das einzige, was auftauchte, war der Streifenwagen der Polizei, der so auffällig in zweiter Reihe parkte, daß in der Nachbarschaft die Lichter angingen. Zwei Polizisten stiegen aus. Sie warfen einen Blick in mehrere Eingänge und weckten ein paar Obdachlose, aber nach zwanzig Minuten brachen sie die Suche erfolglos ab.
»Er hat bestimmt aufgegeben, als du hier im Haus warst. Wahrscheinlich war das nur irgendein Lüstling, der dir vom Bahnhof aus gefolgt ist«, vermutete Richard.
»Aber er ist mir erst in unserer Straße aufgefallen. Ich hatte fast den Eindruck, daß er vor mir hier war und auf mich gewartet hat.«
»Wahrscheinlich hat Keiko den Typen geschickt«, sagte Mariko grimmig. »Heute am frühen Abend habe ich Esmerelda in der Bar angerufen. Sie hat erzählt, ein Punk mit Motorradhelm sei dort gewesen und habe seine Bezahlung gefordert.«
Der Angriff war also auf Keiko zurückzuführen und hatte nichts mit Joe Roncolotta oder Kenji Yamamoto zu tun. Ich hätte das der Polizei sagen sollen … oder hätte das alles nur noch schlimmer gemacht? Ich war ganz feucht, und mir wurde klar, daß ich das Léger-Kleid naßschwitzte. Karen würde mich umbringen, wenn es Flecken hatte. Ich scheuchte Richard und Mariko in ihr Zimmer, zog mich aus und wusch die Armlöcher sanft mit einer Mischung aus Wasser und Babyshampoo ab.
Die Seide fühlte sich gut an; es war wirklich ein schönes Kleid. Was mir meine Mutter immer über Qualitätsstoffe gesagt hatte, es stimmte. Das Material war unglaublich wenig zerknittert, selbst nach meinen Kämpfen mit den Piranhas des Tokyo American Club und den Phantomen der Tokioter Straßen.
32
Ich drückte zweimal die Schlummertaste des Weckers, bevor ich mich am Samstag um sechs Uhr dreißig mühsam zum Sitzen aufrichtete. Ich verstand überhaupt nicht, weshalb ich wach war. Mit verschwommenen Blick sah ich das Abendkleid auf dem Bügel hängen, und die Erinnerung an meine vergangene Nacht kam zurück.
Ich schaltete alle nur möglichen Wärmequellen ein – den Kerosinofen, den Grill und den Herd –, bevor ich duschte und in Jeans und Hughs weißes Hemd schlüpfte, das irgend jemand gewaschen und gebügelt hatte. Normalerweise kümmerte Richard sich nicht um meine Wäsche. Ich kicherte leise, während ich Kaffee kochte und Kalifornien wählte.
Beim zweiten Klingeln war mein Vater am Apparat.
»Rei ist am Telefon, Catherine! Es geht ihr gut.« Dann legte er los. »Rei-chan, hier hört man seltsame Gerüchte darüber, daß dein Name im japanischen Fernsehen genannt wird! Eric Hanada hat etwas im Kabelfernsehen gesehen, und seine Enkelin will eine Zeitschrift namens Friday schicken, wo du auf dem Titelbild bist.«
»Mein Schatz, es wird Zeit, daß du nach Hause kommst.« Meine Mutter sprach von einem Nebenanschluß aus. »Nimm das Ticket, das wir dir letztes Jahr geschickt haben, oder kauf dir ein neues …«
»Hör auf, ja?« schimpfte ich, bis mir klar wurde, daß ich wieder in mein altes, ruppiges Muster verfiel. Ich holte tief Luft und fing von vorne an. »Es tut mir leid, ich kann hier nicht weg. Die Polizei kontrolliert den Flughafen von Narita.«
Es dauerte eine halbe Stunde, um die Geschichte zu erzählen. Meine Mutter schnappte nach Luft, als sie von dem Mord an Setsuko hörte, aber sie schien ebenso neugierig, alles zu erfahren, was Hugh betraf.
»Verheiratet oder geschieden?« fragte sie wie nebenbei.
»Weder noch. Mom, das ist nicht wichtig.«
»Sendai? Hmm«, sagte mein Vater.
Ich fühlte mich verpflichtet, zuzugeben, daß er auf unbestimmte Zeit beurlaubt war. Ein betretenes Schweigen folgte.
»Ihr seht also, es hängt alles davon ab, daß Setsukos Mörder gefunden wird.« Ich versuchte, wieder zum Thema zurückzukommen. »Dann können sie Hugh nicht mehr beschuldigen.«
»Ungefähr neunzig Prozent der Leute, die in
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