Die Tote im Badehaus
wurden, die Quittung.
Nachdem ich alles erledigt hatte, schenkte ich mir auch eine Tasse Kaffee ein und setzte mich, um auf Mrs. Chapman zu warten. Sie saß bereits mit einem Tokyo Weekender auf dem Schoß unter einer der großen Trockenhauben. Sie rief mir etwas zu, das ich wegen des Brummens der Haube nicht verstand.
»Wie bitte?« Ich kam näher.
»Was wollen Sie denn mit dieser Perücke? Ich dachte, Sie kämen zum Waschen und Fönen, so wie ich.«
Ich hatte sie nur gebeten, mich beim Friseur zu treffen und anschließend in einem kleinen italienischen Restaurant in der Nähe mit mir zu essen. Jetzt log ich: »Ich bin auf eine Party eingeladen und brauche einen neuen Look.«
»Wenn Sie die aufhaben, sehen Sie überhaupt nicht mehr amerikanisch aus. Sie könnten gleich einen Kimono anziehen.« Sie sagte das scherzend, aber ich hatte das Gefühl, sie meinte es ernst.
»Die einzigen Kimonos, die ich habe, sind antik. Sie eignen sich nicht zum Tragen.« Mir gefiel die Wendung, die das Gespräch nahm, nicht, und so stopfte ich die Perücke in meinen Rucksack, entschuldigte mich und ging zur Toilette.
Als ich zurückkam, war Mrs. Chapman fertig und wollte so schnell wie möglich ins Freie. Es war ein schöner, linder Tag, so daß ich vorschlug, den Italiener bleiben zu lassen, statt dessen etwas einzukaufen und im Hibiya-Park zu essen. In der riesigen Lebensmittelabteilung des Sogo-Kaufhauses entdeckte ich köstliche chinesische Nudeln, und sie nahm gebratenes Huhn. Wir waren beide zufrieden.
»Wie lange wollen Sie noch bleiben?« fragte ich, als wir uns auf eine Bank am Ententeich setzten.
»Das steht noch nicht ganz fest.« Mrs. Chapman seufzte tief. »Das Reisebüro hat gesagt, ich könnte morgen fliegen, aber als ich dort war, haben sie mir erklärt, wegen der Neujahrsurlauber sei alles ausgebucht. Ich habe bei der Fluggesellschaft angerufen, und die haben mir dieselbe Auskunft gegeben.«
»Das tut mir leid.«
»Das haben die auch gesagt. Sehr, sehr leid. Soviel zu meinem offenen Rückflugticket.« Sie preßte ihre mandarinenfarben bemalten Lippen zusammen.
»Was haben Sie sich in Tokio angesehen?« Ich kaute einen Mundvoll meiner pikant gewürzten Nudeln und fragte mich, ob ich Mrs. Chapman wohl bis in alle Ewigkeit würde unterhalten müssen.
»Ich bin mit dem Bus zu diesem Schrein gefahren, von dem Sie mir erzählt haben, und nach Disneyland. Ich habe auch ein bißchen für meine Enkelin auf der Ginza, der großen Einkaufsstraße, eingekauft.«
»So wie Setsuko. Das Einkaufen, meine ich.«
»Ich muß auch ständig an sie denken.« Mrs. Chapman seufzte wieder. »Es kommt jeden Abend in den englischsprachigen Nachrichten. Ich habe gehört, daß Hugh Glendinning festgenommen wurde.«
»Die Polizei verhört ihn nur.« Ich brachte es nicht über mich, ihr zu sagen, daß er der Hauptverdächtige war.
»Wirklich? Das klingt ja, als hätten Sie noch damit zu tun. Erzählen Sie!« Sie beugte sich so nahe zu mir, daß eines ihrer Hühnerbeine in meine Nudeln fiel.
»Eigentlich nicht.« Ich gab ihr das Hühnerbein zurück und nahm meinen Becher warmen grünen Tee. »Ich glaube, wir alle könnten irgend etwas wissen, was der Polizei weiterhelfen könnte. Ich weiß nur nicht, was es ist.«
»Vielleicht sollten wir einmal nachdenken. Wenn Sie mir noch einmal in der richtigen Reihenfolge erzählen könnten, was genau passiert ist – durch die Nachrichten habe ich alles durcheinandergebracht.«
Das konnte nicht schaden. »Im Autopsiebericht steht, Setsuko sei zwischen elf und ein Uhr nachts gestorben. Bis etwa zehn Minuten vor Mitternacht waren wir alle im minshuku. Dann bin ich mit den Ikedas zum Tempel gegangen. Mr. Nakamura und Yamamoto haben uns auf halber Strecke eingeholt. Hugh ist dreißig Minuten später gekommen.«
»Was ist mit den Pensionsbesitzern und ihrer Familie?« fragte Mrs. Chapman. »Wo waren sie?«
»Bei uns. Offenbar waren Sie die einzige, die die ganze Zeit über in der Pension war. Sie und Setsuko, meine ich. Erinnern Sie sich, irgend etwas gehört zu haben? Ist sie vielleicht die Hintertreppe hinauf- oder hinuntergegangen?«
Mrs. Chapman kaute gründlich, bevor sie antwortete. »Wie gesagt, bei laufendem Fernseher konnte ich kaum etwas hören. Dann bin ich eingeschlafen.«
»Ja, das haben Sie mir schon das letzte Mal gesagt.« Ich war enttäuscht.
»Darf ich Ihnen einen Rat geben, Kleines? Achten Sie auf Ihre Gefühle, nur für den Fall, daß die Polizei den Richtigen hat.
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