Die Tote im Badehaus
sie auch finden müssen. Auf dem Fenster und auf den Perlen. Und ich – ich war das, die mit ihm im Bad gestritten hat. Warum haben sie mich nicht verhört?«
»Vielleicht, weil Sie das alles in Gang gebracht haben. Sie sind eine gute Spionin, neh? Sie können von Glück sagen.« Mr. Ota warf mir einen gequälten Blick zu. »Wenn nicht alles so eindeutig wäre, dann stünden die Chancen für die Entlassung meines Mandanten besser. Aber die Aussage der Pensionsbesitzerin war wirklich Pech für uns.«
»Sind Sie denn Strafverteidiger? Haben Sie schon Erfahrung?« Ich besah mir Mr. Otas Anzug, eine Polyester-Woll-Mischung, die schlaff von seinen schmalen Schultern hing. Er sah nicht so aus, als hätte er genügend Fälle gewonnen, um sich einen anständigen Schneider leisten zu können.
»Wenn Mr. Glendinning vor Gericht kommt, kann ihm kein Anwalt mehr helfen. Nur Gott.« Bei meinem verständnislosen Gesichtsausdruck erklärte er: »Neunundneunzig Prozent der Fälle, in denen es einen Prozeß gibt, enden mit einer Verurteilung.«
Daran durfte ich gar nicht denken. Ich mußte ruhig bleiben. In meinem kühlsten Tonfall sagte ich: »Sie haben demnach die Aufgabe, die Anklageerhebung zu verhindern.«
»Genau.« Mr. Ota schien erleichtert, daß ich ihm nicht mehr widersprach. »Selbst wenn morgen entschieden wird, daß er in Haft bleiben muß, habe ich fünfundzwanzig Tage, um Beweise zu sammeln, mit denen ich die Anklage verhindern kann. Und Mr. Glendinning hat viele Freunde unter Juristen und Geschäftsmännern, die helfen könnten. Ganz oben auf unserer Liste steht Mr. Piers Clancy, ein Attaché der britischen Botschaft.«
»Trotzdem brauchen Sie mich«, sagte ich. »Ich fahre nach Shiroyama. Hughs Japanisch ist fürchterlich. Wenn er nicht gut behandelt wird, könnte ich mit der Polizei sprechen – Captain Okuhara kennt mich.«
»Das ist eine sehr schlechte Idee! Mr. Glendinning glaubt, daß Sie womöglich der Beihilfe angeklagt werden könnten. Es darf überhaupt nicht so aussehen, als würden Sie sich auch nur im mindesten nahestehen.«
Ich dachte darüber nach. Noch belastender als die Fingerabdrücke waren unsere Zusammentreffen: Drinks in einem Hotel, ein Abendessen in einer anderen Stadt, zwei Nächte im selben Zimmer. Wir kamen beide aus Tokio, wo wir uns schon vorher getroffen haben könnten. So wie ich mich benommen hatte, würde jeder denken, ich hätte von Setsukos Tod profitiert.
»Weshalb sind Sie dann zu mir gekommen?«
»Mein Mandant hat eine Bitte.« Mr. Ona zog den Reißverschluß seiner Lederimitataktentasche auf und holte ein paar Blätter heraus. »Die tsuya für Setsuko Nakamura findet morgen abend statt. Mr. Glendinning bittet Sie, mit Miss Hikari Yasui zu sprechen, seiner Sekretärin. Vielleicht könnten Sie zusammen hingehen. Er möchte wissen, ob Sie jemanden aus Shiroyama wiedererkennen. Vielleicht können Sie auch versuchen, mit Verwandten von Setsuko Nakamura in Kontakt zu kommen. Passen Sie genau auf und erzählen Sie es uns danach. Weil niemand so gut wie Sie die versteckte Wahrheit finden kann.«
Er hatte mir von der Zelle aus einen Stoß versetzt, den nur ich bemerken würde. Ich wußte nicht, was eine tsuya war, aber es hatte bestimmt etwas mit Bestattungen zu tun. Doch so lustig wie der Film, den ich gerade gesehen hatte, würde es bestimmt nicht werden.
»Ich kann nirgendwohin gehen, wo auch Mr. Nakamura sein könnte. Er würde mich erkennen und wütend werden – er findet schon jetzt, ich sei zu neugierig«, erklärte ich.
»Ach was, Sie müssen nur Ihre Frisur ändern und vielleicht eine Brille aufsetzen.« Mr. Ota reichte mir ein Blatt aus seinem Stapel eselsohriger Papiere. Zwei Telefonnummern standen darauf: die von Hikari Yasui und die von Piers Clancy.
»Wieviel weiß Hikari Yasui?« fragte ich.
»Yasui-san weiß, daß ihr Chef in Schwierigkeiten ist. Sie ist ein Mädchen mit einem treuen Herzen.«
Ob Hugh ihm das auch wortwörtlich so gesagt hatte? Ich räusperte mich und fragte: »Bleiben Sie in Verbindung mit mir? Können Sie mir sagen, was der Staatsanwalt macht?«
»Sicher. Morgen übernachte ich in Shiroyama, aber ich rufe an, wenn ich zurückkomme.«
Am nächsten Morgen um neun rief ich Piers Clancy an.
»Sie sprechen sehr gut englisch, Miss Shimura«, sagte er abfällig, nachdem ich mich vorgestellt hatte.
»Sie auch. Trotz des Akzents.« Seine wenigen Worte klangen wie eine schlechte Imitation des Masterpiece Theatre.
»Nun denn.«
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