Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
Vom Netzwerk:
meinem Gesicht konnte ich mir keine gesellschaftlichen Schnitzer leisten.
    »Sie müssen Schwarz tragen, und als Schmuck sind nur Perlen denkbar, die natürlich für Tränen stehen. Wenn Sie ein k ō den mitbringen könnten, würde das auch einen guten Eindruck machen.«
    Sie sprach von einem Geldgeschenk – das beliebteste Geschenk der Japaner, das für alle Anlässe geeignet ist. Das Geld wird in einen Umschlag gesteckt, der mit schwarzen und silbernen Schnüren zugebunden wird. Solche Umschläge gab es in jedem Schreibwarengeschäft. Ich überlegte, welcher Betrag wohl angemessen wäre, und ob ich eine Karte oder einen anderen Nachweis meiner Identität beilegen mußte.
    »Ich habe darüber nachgedacht. Sie sind eine neue Sekretärin bei Sendai. Mr. Ota hat gesagt, Sie sind jung, also …«, sie lachte wehmütig, »was können Sie schon anderes sein als eine Sekretärin?«
    »Aber ich sehe anders aus. Meine Haare …«
    »Ja, das habe ich gehört. Ich lasse im Schönheitssalon eine Perücke zurücklegen, damit sehen Sie normaler aus.«
     
    Mein Tag war sehr kompliziert geworden. Ich mußte mir ein schwarzes Kostüm von Karen ausleihen, die Perücke abholen und die Verabredung zum Lunch mit Mrs. Chapman einhalten. Danach mußte ich zu Nichiyu, wo ich mir eine Ausrede ausdenken mußte, um zwei Stunden früher gehen zu können. Dann würde ich die lange Fahrt in einem vollgestopften Pendlerzug zu Setsukos tsuya am Stadtrand durchstehen müssen. Mir reichte es schon, wenn ich nur daran dachte.
    Ich beschloß, Mrs. Chapman und den Schönheitssalon zu kombinieren. Als ich sie anrief, sagte sie, sie müsse sowieso zum Waschen und Legen. Wir trafen uns an der Station Hibiya und folgten der Beschreibung zu einem der wenigen Art-déco-Häuser, die es in Tokio noch gab. Es lag inmitten mehrerer teurer Gebäude in der Nähe des Hibiya-Parks.
    »Das sieht aus wie bei meinem Friseur zu Hause!« sagte Mrs. Chapman, als ich ihr die Milchglastür des Oi-Schönheitssalons aufhielt. Innen sah ich eine verlassene Reihe altmodischer Trockenhauben und an der Wand lauter Styroporköpfe mit schrecklichen, aufgeplusterten Perücken. Das war ein Juwel der Nachkriegszeit. Ich konnte mir vorstellen, wie die Frau von General MacArthur noch schnell vorbeikam, um sich frisieren zu lassen, bevor sie ein paar Straßen weiter im Imperial Hotel zum Lunch ging.
    Mrs. Oi, eine verrunzelte Frau, die aussah, als würde sie seit der Besatzungszeit hier arbeiten, verbeugte sich tief vor Mrs. Chapman und rief dem Lehrmädchen, es solle Kaffee bringen. Ich mußte mich bemühen, nicht zurückzuzucken, als Mrs. Oi mir durch das Haar fuhr und den barbarischen Kurzhaarschnitt beklagte. Ja, eine Perücke wäre genau das richtige für mich, um die Zeit zu überbrücken, bis meine Haare die angemessene Länge für eine Frau hätten.
    »Gehen Sie auf eine Hochzeit oder etwas Ähnliches? Möchte Madame eine traditionelle Frisur?« Sie sah mich prüfend an.
    »Es ist eine Party«, sagte ich. Mrs. Oi wirkte überrascht; vielleicht lieh man sich für eine Party keine Perücke aus. Ich improvisierte. »Meine Schwiegereltern kommen auch, und sie dürfen nicht wissen, daß ich meine Haare im letzten Monat abgeschnitten habe.«
    »Man muß sich immer bemühen, der Familie des Ehemanns zu gefallen, neh? Das gehört sich so für die Frau«, trällerte Mrs. Oi und führte mich zu einer Reihe mit japanischen Perücken. Es gab zwei Stile: entweder lang, glatt und modern, oder hochgesteckt wie bei einer Geisha aus dem neunzehnten Jahrhundert.
    Sie setzte mir ein halbes Dutzend Perücken auf, bis wir beide mit einer seidigen, synthetischen Mähne zufrieden waren, die mir über den Rücken fiel. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich richtig japanisch aus.
    »Das ist genau Ihr Stil«, sagte Mrs. Oi entschlossen. »Sie hätten sich die Haare nicht abschneiden sollen. Wenn Sie sich die Haare wirklich wieder wachsen lassen wollen, dann sollten Sie vielleicht die Perücke kaufen und sie tragen, bis Ihre Haare nachgewachsen sind.«
    »Nein, es reicht mir, wenn ich sie ausleihe. Um die Wahrheit zu sagen, ich würde gerne zwischen kurz und lang wechseln. In der Beziehung bin ich ziemlich spontan.«
    »Heutzutage leihen sich nicht mehr viele Frauen eine Perücke aus. Es ist ein Jammer. So kann man leicht seinen Typ ändern und ein bißchen Würze ins Eheleben bringen.« Umständlich schrieb sie mit ihren knorrigen Fingern, die von dicken perlenbesetzten und Jaderingen geziert

Weitere Kostenlose Bücher